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Das System der Rechtslehre

von Johann Gottfried Fichte.

Dritter Teil.

Erster Abschnitt

[Inhalt des Strafgesetzes]

5) Der Inhalt des Strafgesetzes ist ein doppelter.

1) Für den positiv ungerechten Willen erfolgt das Gegenteil des Zweckes. Jeder muss notwendig von seinen eigenen Rechten und Freiheiten (seinem Eigentum in der weitesten Bedingung des Wortes) grade so viel auf das Spiel setzen, als er die Rechte des Andern aus Eigennutz oder Ungerechtigkeit zu verletzen in Versuchung ist. Der Geist dieses Prinzips ist: es muss dem ungerechten Willen, oder der Unbesonnenheit ein hinlängliches Gegengewicht gegeben werden.

Dieses Gegengewicht ist bedingt dadurch, dass der Wille ein materialiter böser, ein eigennütziger und nach fremden Gütern lüsterner Wille ist. Also durch die widerrechtliche Handlung wird ein materieller Erfolg, Gewinn beabsichtigt; da tritt das Gesetz dazwischen, und sagt: nein, das grade, was du gewinnen wolltest, sollst du verlieren.

Wenn dem Räuber nur wieder abgenommen würde, was er entwendete, so hat er weiter Nichts getan, als sich vergebens bemüht. Da er notwendig als möglich voraussetzen musste, dass er nicht entdeckt werden würde, weil er außerdem sich diese vergebliche Mühe nicht gemacht hätte, so war seine Rechnung die: entweder ich werde entdeckt oder nicht; geschieht das Erstere, so gebe ich wieder heraus, was ohnedies nicht mein war: geschieht das Letztere, so gewinne ich. Verlieren kann ich in keinem Falle. Ist aber die Strafe des gleichen Verlustes eingeführt, so ist im Falle der Entdeckung der Verlust des Verbrechers eben so groß, als im Falle der Nichtentdeckung der Gewinn. Das Übergewicht der Wahrscheinlichkeit müsste sonach für die Nichtentdeckung sein, wenn er doch das Vergehen wagen sollte. Je geringer aber diese Wahrscheinlichkeit wird, desto sicherer wird der gegenüberstehende Reiz gezügelt. Aber eine solche bloße Wahrscheinlichkeit soll in einem wohl eingerichteten Staate nicht Statt finden.

Was du dem Andren nehmen willst, das nimmst du dir; dies wird ihm wohl den Willen vertreiben, poena talionis. (Vgl. a.a.O. S.100ff.).

2) Wenn Jemand das Recht eines Andren verletzt ohne diesen materialiter bösen Willen, aus Unachtsamkeit, Unbesonnenheit und Gedankenlosigkeit: so verhält es sich mit demselben eben so. Auch hier gilt das Gesetz: was du dem Andern schadest, schadest du dir. Der Zweck ist hier, Jemandem den Willen (die Aufmerksamkeit), den er haben soll, zu machen. In diesem Falle findet nur Schadenersatz Statt, weil vorausgesetzt wird, dass der Wert am Eigentum des Andern ganz verboten sei. (S.101.).

3) Der Arme, der aus Eigennutz Etwas entwendet, und Nichts hat, um es zu ersetzen, wenn das Entwendete nicht mehr vorhanden ist, und die Strafe zu entrichten, hat ein Eigentum an seinen Kräften, und muss den Ersatz sowohl als die Strafe abarbeiten; es versteht sich, sogleich; denn ehe abgearbeitet ist, ist er nicht Bürger; wie denn, da durch jedes Verbrechen, der Strenge nach, das Bürgerrecht verwirkt wird, dies bei allen Strafen Statt findet. Ferner muss diese Arbeit notwendig unter Aufsicht des Staates geschehen. Er verliert also, bis nach erlittener Strafe, seine Freiheit. Dies ist die Strafe des Arbeitshauses. Teils wird auf diese Weise dem Gesetze des gleichen Verlustes Genüge getan, teils ist die Strafe von der Art, dass man, wenn nur die Polizei so eingerichtet ist, dass die Verborgenheit des Verbrechers nicht zu hoffen sei, wohl darauf rechnen kann, es werde Jeder doch die Androhung desselben vom Vergehen zurückgehalten werden.

Dieser Unterschied, ob das Verbrechen aus Absicht oder aus Unbesonnenheit geschehe, ist der bekannte Unterschied zwischen dolus und culpa. Also moralische Untersuchungen der Triebfedern, von denen die Juristen sprechen, sind anmaßend, besonders wenn es angewandt wird, um das Gesetz für den Fall zu machen. Kein Mensch kann oder soll über die wahre Moralität des Andern der Richter sein. Der einzige Zweck der bürgerlichen Bestrafung, der einzige Maßstab ihrer Größe ist die Möglichkeit der öffentlichen Sicherheit. Moralität ist überhaupt nur Eine, und gar keiner Grade fähig: Wollen der Pflicht, lediglich, weil sie als Pflicht erkannt wird. Gleichwohl muss das Gesetz und die Strafe genau auf die Gemütsstimmung des Versuchten passen; das darum, welches passt, muss angewendet werden. Gedankenlosigkeit um das Gut des Andren, und Lüsternheit nach demselben ist Zweierlei. Wie es steht, zeigt der Erfolg, und dieser muss ausgemittelt werden.

6) Immer ist die Voraussetzung, dass der Wille seinen Grundzweck, die Glückseligkeit, wolle, und sich nur in der Wahl der Mittel vergreife. Nur auf einen solchen Willen ist das aufgestellte Strafgesetz berechnet. Wenn aber, - welches der erste Fall ist, - gar kein bestimmter Wille, gar keine Besonnenheit da ist, der Mensch handelt wie eine wilde, nicht zu berechnende Naturkraft; oder wenn der Wille der Verletzung des Rechtes und der Beschädigung da ist positiv; nicht nur sich ergibt wegen einer andern Begierde, und als Modifikation derselben, so ist das Strafgesetz nicht wirksam und anwendbar. Der boshafte, schadenfrohe Mensch unterwirft sich wohl gern dem Verluste, wenn nur sein Feind auch in Schaden kommt. Welches Gesetz soll nun gegen diesen angewandt werden? (a.a.O. S.102.).

Was zeigen diese? Einen Willen, der durch das Zwangsgesetz nicht zu bewegen ist: Unfähigkeit des Zwanges, Abwesenheit der bürgerlichen Tugend. Besonnenheit, als das Formale, und Selbstliebe, als das Materiale, so dass das Selbst zur Triebfeder gemacht werden könne, und sie Alles um ihrer selbst willen tun, das kann der Staat wohl dulden, und er muss meistens das voraussetzen. Wer dies nicht hat, der ist auch nicht einmal ein Mensch.

Also kurz, sie sind unfähig, den übrigen Bürgern Sicherheit zu leisten; ihre Unfähigkeit zeigt sich jetzt: als man nach einem allgemeinen Durchschnitte sie aufgenommen, hat man sich geirrt. Nur eine Ausnahme findet Statt: gegen den beharrlich Unbesonnenen, der sich nur durch Beschädigung des Eigentums vergeht; so lange derselbe noch Etwas hat, leistet er durch das, was er hat, Sicherheit, weil noch vom Schaden-Ersatze die Rede ist. Hört er auf zu haben, so fällt er freilich unter die gemeinsame Regel. Es kann darum nichts Andres erfolgen, als ihre Ausschließung vom Staate: ihre Erklärung des Verlustes des Bürgerrechts. Der nervus probandi ist klar; die Sicherheitsleistung, das Band, wodurch Alle gehalten werden, fällt bei ihnen weg.

7) Zuvörderst diese Vergleichung. Wer den Bürgervertrag, oder das Recht in einem Stücke verletzt, sei es nun mit Willen oder aus Unbedachtsamkeit, da, wo im Vertrage auf seine Besonnenheit gerechnet wurde, verliert der Strenge nach dadurch alle seine Rechte als Bürger und als Mensch, und wird völlig rechtlos; denn er beweist, dass er nicht von dem Rechtswillen durchdrungen sei, sondern der Wille als Naturgesetz in ihm herrsche: er ist darum seiner Rechte verlustig; denn es hat Jemand zufolge des Rechtsbegriffs überhaupt Rechte, lediglich unter der Bedingung, dass er in eine Gemeinschaft vernünftiger Wesen passe, d.h. dass er sich die Regel des Rechts zum unverbrüchlichen Gesetze aller seiner Handlungen gemacht habe, und fähig sei, durch die Vorstellung dieses Gesetzes auch wirklich in allen Äußerungen seiner Freiheit, die unter demselben stehen, bestimmt zu werden. Wer sich mit Willen gegen das Gesetz vergeht, ist nicht in dem ersten Falle, wer sich aus Unbesonnenheit dagegen vergeht, ist nicht in dem zweiten. So fällt also die Bedingung der Rechtsfähigkeit, und darum auch das Bedingte, die Rechtsfähigkeit selbst weg. (a.a.O. S.95. 96.).

Dieses Verhältnis ist durch den Staatsbürgervertrag als solchen nicht geändert. Alle positiven Rechte, die der Bürger hat, hat er nur unter der Bedingung, dass die Rechte aller übrigen Bürger vor ihm sicher seien. Sobald dies nicht ist, sei es durch Unbesonnenheit oder durch einen bedachten rechtswidrigen Willen, ist der Vertrag vernichtet. Es findet zwischen ihm und den übrigen Bürgern nicht mehr das durch den Bürgervertrag errichtete rechtliche Verhältnis, und da es außer diesem keines und keinen möglichen Grund desselben gibt, überhaupt gar kein rechtliches Verhältnis zwischen Beiden mehr Statt.

Jede Vergehung schließt aus vom Staate, der Verbrecher wird vogelfrei, d.h. seine Sicherheit ist so wenig garantiert, als die eines Vogels, er wird exlex. Gegensatz. Der Zweck der Staatsgewalt ist kein andrer, als der der gegenseitigen Sicherheit der Rechte Aller vor Allen; und der Staat ist zu Nichts zu verbinden, als zum Gebrauche der hinreichenden Mittel für diesen Zweck. Wenn nun derselbe ohne jene absolute Ausschließung Aller, die sich auf irgend eine Weise vergangen haben, zu erreichen wäre, so wäre der Staat nicht notwendig verbunden, diese Strafe auf eine Vergehung, gegen die er seine Bürger auf eine andre Weise schützen könnte, zu setzen.

Nun ist dem Staate eben so viel an der Erhaltung seiner Bürger gelegen, wenn nur sein Hauptzweck mit derselben zu vereinigen ist, als jedem Einzelnen daran liegt, nicht um jedes Vergehens willen für rechtlos erklärt zu werden. Es würde daher in jeder Rücksicht zweckmäßig sein, in allen Fällen, wo die öffentliche Sicherheit dabei bestehen könnte, an die Stelle der der Strenge nach allerdings durch jedes Vergehen verwirkten Ausschließung andre Strafen zu setzen.

Dies könnte nur durch einen Vertrag Aller mit Allen geschehen, der späterhin Norm für die exekutive Gewalt würde. Der Inhalt dieses Vertrages würde folgender sein: Alle versprechen Allen, sie, inwiefern dies mit der öffentlichen Sicherheit vereinbar ist, um ihrer Vergehungen willen nicht vom Staate auszuschließen, sondern ihnen zu verstatten, diese Strafe auf eine andre Weise abzubüßen. Es wäre dies also der Abbüßungsvertrag. (a.a.O. S.97ff.).

Dieser Vertrag ist nützlich sowohl für den Staat, als für die Einzelnen. Der Staat erhält dadurch die Aussicht, den Bürger, dessen Nützlichkeit seine Schädlichkeit überwiegt, zu erhalten, und die Verbindlichkeit, die Abbüßung Aller anzunehmen; der Einzelne das vollkommene Recht, zu fordern, dass man sie statt der verwirkten größeren Strafe annehme. Es gibt ein Recht des Bürgers, abgestraft zu werden.

Der Abbüßungsvertrag erstreckt sich aufgestelltermaßen nicht weiter, als inwiefern neben ihm die öffentliche Sicherheit bestehen könne. Weiter ausgedehnt ist er unrechtmäßig und vernunftwidrig, und ein Staat, in welchem er über diese Grenzen ginge, hätte gar kein Recht, d.i. die öffentliche Sicherheit wäre in ihm nicht garantiert.

Verletzt nun Jemand das Recht aus Unbesonnenheit, wie wir den ersten Fall bestimmt haben, dessen Charakter eigentlich der ist, dass das Recht nicht um des Rechts willen, sondern nur um einer Begierde willen, ungeachtet diese beiläufig unrecht ist, angegriffen ist, so findet eine Abstrafung Statt, der Abbüßungsvertrag ist gültig; hat er solcher seine Strafe erlitten, so ist er wieder eingesetzt in sein Bürgerrecht. Im zweiten Falle, wo entweder gar kein Wille oder ein geradezu unmittelbar rechtswidriger Wille da ist, findet eine Abbüßung nicht Statt, sondern das Bürgerrecht geht verloren.

Jenes ist ein bürgerliches Strafgesetz, dies ein hochnotwendiges oder Kriminalgesetz.