Skip to main contentSkip to page footer

Neidhardt von Gneisenau an Karl August von Hardenberg

vom 06.01.1813.

London, den 6. Januar 1813.

Lord Castlereagh hat mich infolge des mir von Ihnen gegebenen Auftrags wissen lassen und eine etwa halbstündige Unterredung mit mir gehabt, worin er von der Notwendigkeit sprach, daß Preußen sich die jetzige Vernichtung der französischen Macht zunutze machen müsse, um sich von seiner Abhängigkeit loszumachen. Ein solcher günstiger Zeitpunkt komme nie wieder; Preußen solle den anderen Mächten ein rühmliches Beispiel geben, daß solche gleichfalls zu edlen Entschlüssen hinreißen werde. Ich beschränke mich hier darauf, das zu berichten, was der Gegenstand seiner Mitteilung war. Als ich vor wenigen Tagen bei dem Prinzregenten in vertrauter Gesellschaft speiste, äußerte er, daß er es als eine Feigherzigkeit ansehen würde, jemals dem Besitz von Hannover zu entsagen. Sie finden hierin einen abermaligen Beweis, wie sehr [dem] Prinzen an diesem Besitz liegt, und wie sehr er sich in der Idee gefalle, solchen wieder erworben und vergrößert zu sehen; darum geht er auch mit Wärme in all dergleichen Pläne ein. Fängt man die Sache recht an, so ist allerdings die Möglichkeit vorhanden, Frankreich einen Teil seiner Eroberungen am deutschen Meere hin und den Rhein hinauf zu entreißen und daraus einen neuen Staat zu bilden. Wie ich Ihnen bereits gemeldet habe, so habe ich auf diesen Plan für Sie gearbeitet, weil solcher teils ein mächtiges Motiv abgibt, um die tätige Mitwirkung Englands für unsere Kontinentalangelegenheiten zu sichern, teils weil ein solcher Staat, von England geschützt, selbst für Preußen eine Schutzwehr sein und ewig verhindern würde, daß Frankreich uns angreifen könnte. Solange, als Sie mir nicht untersagen, für diesen Plan zu würken, muß ich Ihr Stillschweigen darüber als eine Genehmigung desselben an Seiten des Königs ansehen und demnach fortfahren, auf diesen Zweck hinzuarbeiten. Die Legion in Rußland fängt an, sich stark zu vermehren. Herr v. Stein verlangt meine Anwesenheit in Rußland, um solche einstweilen zu befehligen, denn den Oberbefehl darüber wird bei derselben vielleicht Graf Wallmoden erhalten; da aber die Annahme derselben von seiten der englischen Regierung, so kann ich mich nicht entschließen, dorthin zu gehen; erfolgt aber die Annahme derselben in den Dienst des Regenten, so werde ich bei derselben sogleich eintreten, um mich [mit] solchen dahin zu verfügen, wo der Lauf des Krieges oder die Entwürfe der Kabinette es fordern. Auch hierüber sehe ich Ihr Stillschweigen als eine Genehmigung meines Vorsatzes an, besonders, da ich solchen schon früher zweimal angezeigt habe. Auch »ist es für den Dienst des Königs nützlicher, wenn ich für ihn unter den Fahnen einer Macht kämpfe, die keinerlei Interesse an der Zerstörung Preußens hat, sondern im Gegenteil an seiner Erhaltung interessiert ist. Es ist die zugestandene Absicht des englischen Ministeriums, daß Preußen mit Österreich zusammen die Führung in Deutschland übernehmen möge und daß seine frühere Macht wiederhergestellt werde; sogar der Prinzregent, seinen Groll über Hannover vergessend, ist derselben politischen Ansicht, wie er uns schon durch die Übersendung von Kriegsmaterialien im vergangenen Jahr bewiesen hat. Von solchen Gefühlen haben wir also nichts zu fürchten, und ich handle deshalb in vollem Vertrauen darauf, überzeugt, daß ich ebenso für unseres Königs Sache unter des Prinzregenten Fahnen wie unter den preußischen fechte. Sobald es der König für gelegen hält, den Krieg gegen Frankreich zu erklären, behalte ich mir vor, wieder in seine Dienste zu treten«, welche ich eigentlich nie verlasse, sondern nur scheinbar vertausche, um ihm besser zu dienen. Nach offiziellen russischen Berichten war es fast unmöglich, daß Bonaparte der Gefangenschaft oder dem Tode entgehen könnte, dieses ist indes doch geschehen. Man behauptet nun, Thitgavorff trage hievon die Schuld, indem er nicht zu rechter Zeit eingetroffen sei. Nun er entwischt ist, so wird er, sofern man ihm Zeit läßt, Kräfte genug entwickeln, um noch immer furchtbar zu sein. Nur ein rascher Entschluß könnte seine Verlegenheiten jetzt mehren. Die allgemeine Stimme in England und Rußland erwartet ihn von Preußen, und die öffentliche Meinung, die sehr gegen Preußen ist, würde dadurch wieder gewonnen werden, ein längeres Zögern aber die Abneigung gegen dasselbe noch steigern, und aus dieser Steigerung möchten üble Folgen entstehen. In Schweden werden noch immer Rüstungen zur bevorstehenden Landung betrieben. Von hier wird der General Hope als militärischer Gesandter dort hingeschickt, um die Operationspläne zu verabreden. Graf Münster will, daß ich auch mit dahin gehe, um zugleich die Geschichte der Legion ordnen zu helfen. Ich hoffe, daß man die norddeutsche Küste zur Landung ausersehen wird. England wird hierbei nur als Hülfsmacht, nicht, wie ich geraten habe, als Hauptmacht auftreten und sich mit der Legion und einigen wenigen Truppen an Schweden anlehnen. Mit Österreich gehn die Kommunikationen durch den Grafen v. Hardenberg und Mr. King in Wien ihren Gang. An Aufmunterungen läßt man es von hier aus nicht fehlen. Hier sind Maßregeln gegen die preußische Flagge genommen worden, die durch die starke Schiffahrt, die Frankreich unter dieser Flagge trieb und wodurch Bonaparte so viel Einkünfte gewonnen, veranlaßt wurden. Die öffentliche Stimme hier ist für die Aufhebung des lizenzierten Handels mit Frankreich und dessen unterworfenen Staaten, Gott erhalte Sie.

Quelle:
Gneisenau, Neidhardt von: Briefe 1813