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Briefe aus den Befreiungskriegen

Heinrich Dietrich von Grolman an seinen Sohn Karl Wilhelm von Grolman

VIII.

vom 20.11.1807.

20 November 1807.

Lieber Sohn! Deine Briefe sind uns ein Rätsel, wir wissen nicht, was geschehen ist, wir wissen nicht, was Du eigentlich vorhast, wir müssen also raten. Ich will einmal das Schlimmste annehmen, der König ist dem rheinischen Bunde beigetreten, die Franzosen halten seine Festungen besetzt; sie lassen eine Armee im Lande stehen; der König muss zu ihren Kriegen Hilfstruppen geben; wie soll man sich nach den Regeln der Klugheit in diesem Falle verhalten? Soll man im königlichen Dienst bleiben, oder sein Vaterland verlassen? Das erste ist nach meiner Einsicht einleuchtend, das letzte ist Verzweiflung, der sich ein vernünftiger Mann nie überlassen muss. Wer im Vaterlande bleibt, kann jede Gelegenheit nutzen, um dasselbe vom ausländischen Drucke zu befreien. Wer davon geht, ist für das Vaterland tot. Er gehört einem fremden Staat an. Sein Vaterland ist nichts für ihn. Alle Hoffnung, das Vaterland zu retten, ist keineswegs verloren. Die jetzige Lage der Dinge kann nicht so bleiben. Sie wird sich gewiss ändern. Wahrscheinlich werde ich dies bei meinem Alter nicht mehr erleben, Du hingegen bist jung, Du wirst es gewiss erleben. Würde es Dich nicht ewig kränken, wenn Du Dich alsdenn in einen Stand gesetzt hättest, wo Du Deinem Vaterlande nicht helfen kannst? Die Stadt Theben und das Schloss war von den Lacedemoniern besetzt; Epamionondas vertrieb sie nicht allein, sondern schlug sie in zwei merkwürdigen Schlachten, und demütige den Stolz der Spartaner. Athen war von eben diesem Volke überwältigt, und einer Regierung von drei Tyrannen unterworfen, Iphicrathes vertrieb sie und stellte den alten Glanz von Athen wieder her. Rom war von den Galliern verbrannt, demohngeachtet wurde es das größte Reich in der Welt. Frankreich war einmal in Gefahr, eine englische Provinz zu werden, jetzt schreibt es Europa Gesetzte vor. Österreich stand im Begriff, über ganz Deutschland zu herrschen, Gustav Adolph verhinderte es. Ich könnte Dir tausend ähnliche Beispiele aus der Geschichte, selbst Deines Vaterlandes aufzählen. Verzweifle also nicht an dessen Wiederherstellung. Bemühe Dich, ein Epaminondas, ein Iphicrathes,  ein Camilus zu werden. Die Gelegenheit zur Hilfe wird nicht ausbleiben. Es ist wohl wahrscheinlich, aber doch nicht gewiss, dass Napoleon einen Krieg nach dem andern anfangen werde; tut er es, so ist es auch noch nicht gewiss, dass der König Hilfstruppen geben muss. Muss aber auch dieses geschehen, so bist Du ja nicht gezwungen, mitzugehen. Du stehst jetzt beim Generalstabe und wirst leicht Gelegenheit finden können, dem Mitgehen auszuweichen. Allenfalls hast Du es immer in Deiner Gewalt, den Abschied zu fordern. Aber es bleibt auch möglich, dass Napoleon einen Krieg anfängt, wo Du gern mitgehst, z. B. gegen die Türken. Alsdann würdest Du Gelegenheit haben, Deine militärischen Talente ganz auszubilden; die Art der Franzosen, den Krieg zu führen, ganz zu studieren, und die Mittel ausfindig zu machen, wie man sie gewiss überwinden könnte. Marlborough diente den Franzosen unter Turenne und schlug sie nachher. Prinz Eugen war ebenfalls in ihren Diensten und tat ein Gleiches. Der Fürst von Dessau, der Feldmarschall Schwerin, führten zum spanischen Successionskriege Hilfstruppen der Österreicher an und haben diese nachher geschlagen. Selbst Friedrich hat dieses unter seinem Vater am Rhein getan. Einem solchen Beispiele kannst Du immer folgen.

Was kann aber aus Dir werden, wenn Du Dein Vaterland verlässest? Willst Du in englische Dienste gehen? so wirst Du schwerlich den englischen Stolz, den dem französischen nichts nachgibt, ertragen können, Du wirst Dir gefallen lassen, nach Ost-Indien, Afrika, Amerika geschickt zu werden. Nach geendigtem Kriege erhältst Du Deinen Abschied, und wirst auf halbe Pension gesetzt. Willst Du in schwedische Dienste gehen? Dies Land ist viel zu ohnmächtig, der König zu schwach, wie er durch die Übergabe von Stralsund und Rügen gezeigt hat. Willst Du in russische Dienste gehen? Du beschreibst diese Regierung selbst zu schlecht, Russland wird wahrlich Preussen nie aufhelfen, es hat mit Frankreich ein gleiches Interesse, schwache Nachbarn zu haben. Willst Du zu den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika Deine Zuflucht nehmen? Wahrlich, dieses Land in kein Eldorado, sondern liegt nach allen neuen Beschreibungen noch tief in der Barbarei, aus welcher es sich kaum nach einem Jahrhundert herausarbeiten wird. Auch hast Du nicht Vermögen genug, um Dich daselbst anzukaufen, und als eine Privatperson zu leben; dagegen sind alle Deine Verwandten, Deine Freunde, Deine Bekannten für Dich verloren. 

Bisher habe ich Deine Lage nur nach den Regeln der Klugheit betrachte. Aber der Mensch muss nicht bloß nach diesen Regeln, sondern nach dem, was Recht und Pflicht erfordert, handeln. Du würdest aber alle Deine Pflichten aus den Augen setzen, wenn Du den Dienst Deines Vaterlandes verlassen wolltest. Du verletzest die Pflicht gegen Dein Vaterland, welchem Du in den Zeiten des Unglücks Deine Hilfe entziehest, und gegen Deinen König, der sich gegen Deine Person gut betragen, jede Deiner ausgezeichneten Handlungen belohnt hat, und Dankbarkeit fordern kann; gegen Deine Tochter, deren Erziehung Du dem Ohngefähr, der Willkür andrer Menschen überlässt; gegen Deine Schwestern, deren Stütze Du nach meinem Tode sein solltest, gegen Deinen Vater, dessen Mühe und Sorgfalt zu Deiner Bildung und Fortkommen Du vereitelst; gegen Dich selbst, da Du eine Laufbahn, die Du selbst gewählt hast, auf welcher Du für Deine Person in Vergleichung mit tausend andern Glück gehabt hast, auf welcher Du weiter Fortschritte machen, Deinem Vaterlande, Deiner Familie nützlich werden kannst, verlässt, Dich in einen Abenteurer umformst, Dir den Vorwurf der Verzweiflung, Mutlosigkeit, Undankbarkeit zuziehest, und Dir ewige Reue vorbereitest. Ich muss freilich Dich handeln lassen wie Du es für gut findest, und kann mich mit nichts anderm trösten, als dass ich auch jetzt die Pflicht erfüllt habe welche ich Dir schuldig bin als

Dein treuer Vater
Grolman