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Der Jüngling der das Schöne sucht

Eine Vision

Ein rätselhaftes Wesen war der Weise
Vom Berge. Jetzt von weitem sah ihn Horst,
Der lang' umher ihn aufzufinden, irrte.
Ein langes, schwarz Gewand umhüllte ihn,
Bis an die Brust vom weißen Bart bedeckt,
Und auf der Wange blühte noch der Lenz
Der Jugend, blühte um die frischen Lippen.
Versunken in Betrachtung stand er da,
Das Auge fest auf einer Quelle Spiegel
Geheftet. Tiefe Ehrfurcht flößt' er ein,
Und Horst, um die Betrachtung nicht zu stören,
Hielt ehrerbietig in der Ferne sich.
Doch jetzt bewegte sich des Weisen Lippe,
Begierig lauschend horchte Horst dem Wort.

      Unter dem Schönen
         Preis' ich zuerst, dich,
            Strömendes Leben!
 
      Wallender Spiegel
         Strahlst du zurück nicht
            Meine Gestalt mir?
 
      Sieh', und es neiget
         Meine Gestalt sich
            Liebend dem Himmel!
 
      In unendlicher Tiefe
         Ruht er da unten,
            Meine Gestalt in ihm!
 
      Heilige Schauer wehen,
         Leise Geistersprache!
            In die ahnende Seele.
 
      Entsprungen dem Schoss der Nacht,
         Aus der Tiefe den Himmel spiegelnd,
            Sprich, wohin gehst du?
 
      Entsprungen dem Schoss der Nacht,
         Aus der Tiefe den Himmel spiegelnd,
            O, wohin geht meine Seele?
 
  Nicht länger hielt sich Horst, es stürzte ihm
Die Glut sich feurig in die Wangen, ungestüm
Schlug seine Brust, und trunken rief er aus,
Wie ihm der Jugend kecker Muth gebot:
 
»Das Schönste gehet sie zu suchen, sprich, o sprich
Du Unbegreifliches, wo find' ich das?«
 
  Es wandte sich das seltne Wesen um:
»Hast du verstanden, Jüngling, was ich sprach?«
 
  Vor meiner Seele dämmert es, - rief Horst.
 
»Vergebens ist's in Dämmerung zu suchen,
Doch sage mir, kennst du das Schöne wohl?«
 
  Das zu erkunden eilt' ich her zu dir,
  Des seltne Weisheit jede Zunge preist.
 
»Vergebens sucht, wer nicht das Schöne kennt,
Er wird ein täuschend Schattenbild umfassen.
Tritt näher, Jüngling! Sprich, was blicket dich
Aus dieser Quelle reinem Spiegel an?«
 
  Mir lächelt draus die eigene Gestalt.
 
Die wirst, ein anderer Narziss, du stets
Umfassen; sich in Andern liebt der Mensch.«
 
  So soll ich nie das Schönste denn erblicken,
  Das dieses glüh'nden Herzens heiße Sehnsucht,
  In Nächten ohne Schlaf voll wacher Träume,
  Stets ungestüm und ungestümer heischt?
  Ein tückisch Wesen necket mich mit Schatten,
  Und leere Luft umfasst der Arm, den ich
  Voll Jugendglut ausstrecke! Meine Seele,
  Wonach du lechzest, ist der Traum des Traums!
  Was in den hehren Stunden heil'ger Weihe
  Zu Tat dich rief, ist Gaukelbild des Wahns,
  Und nimmer wird dein Auge es erblicken.
 
»Nicht Unsichtbares sieht das ird'sche Auge.
Verstehst du einst, was vorhin ich gesprochen,
Dann hast du, Jüngling, was du suchst, gefunden.«
 
  Verlass mich nicht so, rätselhafter Greis!
  Nimm nicht des Herzens Ruhe grausam weg,
  Verlösche nicht der Hoffnung schönes Licht!
  Gefährlich ist's, in Nacht und Dunkel wandeln,
  Und dennoch treibt mich vorwärts kühner Muth,
  Mich lässt das Herz, mich lässt der Geist nicht rasten.
 
»Ein Wort; bewahr' es wohl im tiefsten Herzen! -
Der Widerschein von Deinem Wesen ist's,
Was als das Schöne deinem Blick erscheint;
Das höchste Schöne wohnt bei Göttern nur.
Verstehst du nun der Quelle Geistersprache,
Dann wirst du, Jüngling, was du suchest, finden!«
 
Und sieh, es schwebte aufwärts die Gestalt,
Von einer Silberwolke leicht getragen,
Und schöner Schein verklärte rings die Welt.
Und als von oben Horst den Blick herab
Jetzt wieder kehrte, traut' er nicht dem Blick,
Er hatte sich, die Erde sich verschönert.