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Zweites Hauptstück

Untersuchung der Lehrsätze der Leibnizischen Partei von den lebendigen Kräften.

§ 25.

Zweiter Hauptfehler des Leibnizischen Kräftenmaßes.

Demnach ist die in der Bewegung aufgewandte Zeit der wahre und einzige Charakter der lebendigen Kraft; und sie allein ist es, wodurch diese ein besonderes Ma vor der todten erhält.

Laßt uns nun die Zeit, die von dem Anfange der Bewegung an verfließt, bis der Körper einen Gegenstand antrifft, in den er wirkt, durch die Linie AB vorstellig machen, wovon der Anfang in A ist.[1] In B hat der Körper also eine lebendige Kraft, aber im Anfangspunkte A hat er sie nicht, denn daselbst würde er einen Widerhalt, der ihm entgegen stände, bloß mit einer Bemühung zur Bewegung drücken. Laßt uns aber ferner folgender Gestalt schließen. Fürs  

1ste ist die Zeit AB eine solche Bestimmung des Körpers, der sich in B befindet, wodurch in ihn eine lebendige Kraft gesetzt wird, und der Anfangspunkt A (wenn ich nämlich den Körper in denselben setze) ist eine Bestimmung, die ein Grund der todten Kraft ist. Fürs

2te. Wenn ich in Gedanken diese Bestimmung, die durch die Linie AB ausgedrückt wird, kleiner mache, so setze ich den Körper dem Anfangspunkte näher, und es läßt sich leicht verstehen, daß, wenn ich dieses fortsetzte, der Körper endlich sich gar in A selber befinden würde; folglich wird die Bestimmung AB durch ihre Abkürzung der Bestimmung in A immer näher gesetzt werden; denn wenn sie sich dieser gar nicht näherte, so könnte der Körper durch die Abkürzung der Zeit, wenn ich sie gleich unendlich fortsetzte, doch niemals den Punkt A gewinnen, welches ungereimt ist. Es kommt also die Bestimmung des Körpers in C den Bedingungen der todten Kraft näher, als in B, in D noch näher als in C und so ferner, bis er in A selber alle Bedingungen der todten Kraft hat, und die Bedingungen zur lebendigen gänzlich verschwunden sind. Wenn aber

3tens gewisse Bestimmungen, die die Ursache einer Eigenschaft eines Körpers sind, sich nach und nach in andere Bestimmungen verwandeln, die ein Grund einer entgegengesetzten Eigenschaft sind, so muß die Eigenschaft, die eine Folge der ersteren Bedingung war, sich zugleich mit ändern und sich nach und nach in diejenige Eigenschaft verwandeln, die eine Folge der letztern ist.[2] Da nun, wenn ich die Zeit AB (die eine Bedingung einer lebendigen Kraft in B ist) in Gedanken abkürze, diese Bedingung der lebendigen Kraft der Bedingung der todten Kraft nothwendig näher gesetzt wird, als sie in B war: so muß auch der Körper in C wirklich eine Kraft haben, die der todten näher kommt, als die in B und noch näher, wenn ich ihn in D setzte. Es hat demnach ein Körper, der unter der Bedingung der verflossenen eit eine lebendige Kraft besitzt, dieselbe nicht in jedweder Zeit, die so kurz sein kann, als man will; nein, sie muß determinirt und gewiß sein, denn wenn sie kürzer wäre, so würde er diese lebendige Kraft nicht mehr haben. Es kann also Leibnizens Gesetz von der Schätzung der Kräfte nicht statt finden; denn es legt den Körpern, die sich überhaupt eine Zeit lang bewegt haben (dies will so viel sagen als die sich wirklich bewegen), ohne Unterschied eine lebendige Kraft bei, diese Zeit mag nun so kurz, oder so lang sein, wie man wolle.[3]


[1] Fig. II.

[2] Nach der Regel posita ratione ponitur rationatum .

[3] Der kurze Inhalt dieses Beweises ist folgender. Die Zeit, die sich zwischen dem Anfange der Bewegung und dem Augenblicke, darin der Körper anstößt, befindet, kann so viel kürzer gedacht werden, als beliebig ist, ohne daß sich dadurch verstehen läßt, daß die Bedingung der lebendigen Kraft sich dadurch verlieren werde (§ 24); nun ist aber diese Abkürzung ein Grund, woraus verstanden werden kann, daß, wenn man sie fortsetzte, der Körper endlich werde im Anfangspunkte sein, wo die lebendige Kraft sich wirklich verliert und dagegen die Bedingung [Seitenumbruch] zur todten einfindet; es ist also die Verkleinerung dieser Zeit kein Grund, der der Bedingung der lebendigen Kraft etwas entzieht, und ist doch zugleich ein Grund hiezu: welches sich widerspricht.