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Die Familie Schroffenstein

4. Aufzug

1. Szene

Rossitz. Zimmer im Schlosse.
Rupert und Santing treten auf.

RUPERT.
Das eben ist der Fluch der Macht, daß sich
Dem Willen, dem leicht widerruflichen,
Ein Arm gleich beut, der fest unwiderruflich
Die Tat ankettet. Nicht ein Zehnteil würd
Ein Herr des Bösen tun, müßt er es selbst
Mit eignen Händen tun. Es heckt sein bloßer
Gedanken Unheil aus, und seiner Knechte
Geringster hat den Vorteil über ihn,
Daß er das Böse wollen darf.

SANTING.
Ich kann
Das Herrschen dir nicht lehren, du nicht das
Gehorchen mir. Was Dienen ist, das weiß
Ich auf ein Haar. Befiehl, daß ich dir künftig
Nicht mehr gehorche, wohl so will ich dir
Gehorchen.

RUPERT.
Dienen! Mir gehorchen! Dienen!
Sprichst du doch wie ein Neuling. Hast du mir
Gedient? Soll ich dir erklären, was
Ein Dienst sei? Nützen, nützen soll er. – Was
Denn ist durch deinen mir geworden, als
Der Reue ekelhaft Gefühl?
Es ist
Mir widerlich, ich will's getan nicht haben.
Auf deine Kappe nimm's – ich steck dich in
Den Schloßturm. –

SANTING.
Mich?

 

RUPERT.
Kommst du heraus, das schöne
Gebirgslehn wird dir nicht entgehn.

Eustache tritt auf.

RUPERT steht auf, zu Santing, halblaut.
Es bleibt
Dabei. In vierzehn Tagen bist du frei.

Zu Eustache.

Was willst du?

EUSTACHE.
Stör ich?

RUPERT zu Santing.
Gehe! Meinen Willen
Weißt du. Solange ich kein Knecht, soll mir
Den Herrn ein andrer auf der Burg nicht spielen.
Den Zügel hab ich noch, sie sollen sich
Gelassen dran gewöhnen, müßten sie
Die Zähne sich daran zerbeißen. Der
Zuerst den Herold angetastet, hat
Das Beil verwirkt. – Dich steck ich in den Schloßturm.
– Kein Wort, sag ich, wenn dir dein Leben lieb!
Du hast ein Wort gedeutet, eigenmächtig,
Rebellisch deines Herren Willen mißbraucht –
– Ich schenk dir 's Leben. Fort! Tritt ab.

Santing ab. Zu Eustache.

Was willst du?

EUSTACHE.
Mein Herr, und mein Gemahl –

RUPERT.
Wenn du
Die Rede, die du kürzlich hier begonnen,
Fortsetzen willst, so spar es auf; du siehst,
Ich bin soeben nicht gestimmt, es an
Zu hören.

EUSTACHE.
Wenn ich Unrecht dir getan –

RUPERT.
So werd ich mich vor dir wohl reinigen müssen?
Soll ich etwa das Hofgesinde rufen,
Und öffentlich dir Rede stehn?

EUSTACHE.
O mein
Gemahl, ein Weib glaubt gern an ihres Mannes
Unschuld, und küssen will ich deine Hand
Mit Tränen, Freudentränen, wenn sie rein
Von diesem Morde.

RUPERT.
Wissen es die Leute,
Wie's zugegangen?

EUSTACHE.
Selber spricht die Tat.
Das Volk war aufgehetzt von Santing.

RUPERT.
Daß
Ich auf dein Rufen an das Fenster nicht
Erschienen, ist mir selber unerklärlich,
Sehr schmerzhaft ist mir die Erinnerung.

EUSTACHE.
Es würde fruchtlos doch gewesen sein.
Er sank so schleunig hin, daß jede Rettung,
Die schnellste selbst, zu spät gekommen wäre.
Auch ganz aus seiner Schranke war das Volk,
Und hätte nichts von deinem Wort gehört.

RUPERT.
Doch hätt ich mich gezeigt –

EUSTACHE.
Nun freilich wohl.

DIE KAMMERZOFE stürzt herein, umfaßt Eustachens Füße.

Um deine Hülfe, Gnädigste! Erbarmung,
Gebieterin! Sie führen ihn zum Tode,
Errettung von dem Tod! Laß ihn, laß mich,
Laß uns nicht aufgeopfert werden!

EUSTACHE.
Dich?
Bist du von Sinnen?

DIE KAMMERZOFE.
Meinen Friedrich. Er
Hat ihn zuerst getroffen.

EUSTACHE.
Wen?

DIE KAMMERZOFE.
Den Ritter,
Den dein Gemahl geboten zu erschlagen.

RUPERT.
Geboten – ich! Den Teufel hab ich. – Santing
Hat's angestiftet!

DIE KAMMERZOFE steht auf.
Santing hat's auf dein
Geheiß gestiftet.

RUPERT.
Schlange, giftige!
Aus meinen Augen, fort!

DIE KAMMERZOFE.
Auf dein Geheiß
Hat's Santing angestiftet. Selbst hab ich's
Gehört, wie du's dem Santing hast befohlen.

RUPERT.
– Gehört? – Du selbst?

DIE KAMMERZOFE.
Ich stand im Schloßflur, stand
Dicht hinter dir, ich hörte jedes Wort,
Doch du warst blind vor Wut, und sahst mich nicht.
Es haben's außer mir noch zwei gehört.

RUPERT.
– 's ist gut. Tritt ab.

DIE KAMMERZOFE.
So schenkst du ihm das Leben?

RUPERT.

's soll aufgeschoben sein.

DIE KAMMERZOFE.

O Gott sei Dank!

Und dir sei Dank, mein bester Herr, es ist

Ein braver Bursche, der sein Leben wird

An deines setzen.

RUPERT.

Gut, sag ich. Tritt ab.

Kammerzofe ab.
Rupert wirft sich auf einen Sessel; Eustache nähert sich ihm; Pause.

EUSTACHE.
Mein teurer Freund. –

RUPERT.
Laß mich allein, Eustache.

EUSTACHE.
O laß mich bleiben. – O dies menschlich schöne
Gefühl, das dich bewegt, löscht jeden Fleck,
Denn Reue ist die Unschuld der Gefallnen.
An ihrem Glanze weiden will ich mich,
Denn herrlicher bist du mir nie erschienen,
Als jetzt.

RUPERT.
Ein Elender bin ich. –

EUSTACHE.
Du glaubst
Es. – Ah! Der Augenblick nach dem Verbrechen
Ist oft der schönste in dem Menschenleben,
Du weißt's nicht – ach, du weißt es nicht und grade
Das macht dich herrlich. Denn nie besser ist
Der Mensch, als wenn er es recht innig fühlt,
Wie schlecht er ist.

RUPERT.
Es kann mich keiner ehren,
Denn selbst ein Ekel bin ich mir.

 

EUSTACHE.
Den soll
Kein Mensch verdammen, der sein Urteil selbst
Sich spricht. O hebe dich! Du bist so tief
Bei weitem nicht gesunken, als du hoch
Dich heben kannst.

RUPERT.
Und wer hat mich so häßlich
Gemacht? O hassen will ich ihn. –

EUSTACHE.
Rupert!
Du könntest noch an Rache denken?

RUPERT.
Ob
Ich an die Rache denke? – Frage doch,
Ob ich noch lebe?

EUSTACHE.
Ist es möglich? O
Nicht diesen Augenblick zum wenigsten
Wirst du so bös beflecken – Teufel nicht
In deiner Seele dulden, wenn ein Engel
Noch mit mir spricht aus deinen Zügen.

RUPERT.
Soll
Ich dir etwa erzählen, daß Sylvester
Viel Böses mir getan? Und soll ich's ihm
Verzeihn, als wär es nur ein Weiberschmollen?
Er hat mir freilich nur den Sohn gemordet,
Den Knaben auch, der lieb mir wie ein Sohn. –

EUSTACHE.
O sprich's nicht aus! Wenn dich die Tat gereut,
Die blutige, die du gestiftet, wohl,
So zeig's, und ehre mindestens im Tode
Den Mann, mit dessen Leben du gespielt.
Der Abgeschiedene hat es beschworen:
Unschuldig ist Sylvester!

Rupert sieht ihr starr ins Gesicht.

So unschuldig
An Peters Mord, wie wir an jenem Anschlag
Auf Agnes' Leben.

RUPERT.
Über die Vergleichung!

EUSTACHE.
Warum nicht mein Gemahl? Denn es liegt alles
Auf beiden Seiten gleich, bis selbst auf die
Umstände noch der Tat. Du fandst Verdächt'ge
Bei deinem toten Kinde, so in Warwand;
Du hiebst sie nieder, so in Warwand; sie
Gestanden Falsches, so in Warwand; du
Vertrautest ihnen, so in Warwand. – Nein,
Der einz'ge Umstand ist verschieden, daß
Sylvester selber doch dich freispricht.

RUPERT.
O
Gewendet, listig, haben sie das ganze
Verhältnis, mich, den Kläger, zum Verklagten
Gemacht. – Und um das Bubenstück, das mich
Der ganzen Welt als Mörder zeigt, noch zu
Vollenden, so verzeiht er mir. –

EUSTACHE.
Rupert!
O welch ein häßlicher Verdacht, der schon
Die Seele schändet, die ihn denkt.

RUPERT.
Verdacht
Ist's nicht in mir, es ist Gewißheit. Warum
Meinst du, hätt er mir wohl verziehen, da
Der Anschein doch so groß, als nur, damit
Ich gleich gefällig mich erweise? Er
Kann sich nicht reinigen, er kann es nicht,
Und nun, damit ich's ihm erlaß, erläßt
Er's mir. – Nun, halb zum wenigsten soll ihm
Das Bubenstück gelingen nur. Ich nehme
Den Mord auf mich – und hätt der Jung das Mädchen
Erschlagen, wär's mir recht.

EUSTACHE.
Das Mädchen? O
Mein Gott, du wirst das Mädchen doch nicht morden?

RUPERT.
Die Stämme sind zu nah gepflanzet, sie
Zerschlagen sich die Äste.

EUSTACHE zu seinen Füßen.
O verschone,
Auf meinen Knien bitt ich dich verschone
Das Mädchen – wenn dein eigner Sohn dir lieb,
Wenn seine Liebe lieb dir, wenn auf immer
Du seinen Fluch dir nicht bereiten willst,
Verschone Agnes. –

RUPERT.
Welche seltsame
Anwandlung? Mir den Fluch des Sohnes?

EUSTACHE.
Ja,
Es ist heraus – auf meinen Knien beschwöre
Ich dich, bei jener ersten Nacht, die ich
Am Tage vor des Priesters Spruch dir schenkte,
Bei unserm einz'gen Kind, bei unserm letzten
Das du hinopferst, und das du doch nicht
Geboren hast, wie ich, o mache diesem
Unselig-bösen Zwist ein Ende, der
Bis auf den Namen selbst den ganzen Stamm
Der Schroffensteine auszurotten droht.
Gott zeigt den Weg selbst zur Versöhnung dir.
Die Kinder lieben sich, ich habe sichre
Beweise. –

RUPERT.
Lieben?

EUSTACHE.
Unerkannt hat Gott
In dem Gebirge sie vereint.

RUPERT.
Gebirg?

EUSTACHE.
Ich weiß es von Jeronimus, der Edle!
Vortreffliche! Sein eigner Plan war es
Die Stämme durch die Heirat zu versöhnen,
Und selbst sich opfernd, trat er seine Braut
Dem Sohne seines Freundes ab. – O ehre
Im Tode seinen Willen, daß sein Geist
In deinen Träumen dir nicht mit Entsetzen
Begegne. – Sprich, o sprich den Segen aus!
Mit Tränen küß ich deine Kniee, küsse
Mit Inbrunst deine Hand, die ach! noch schuldig
Was sie am Altar mir versprach – o brauche
Sie einmal doch zum Wohltun, gib dem Sohne
Die Gattin, die sein Herz begehrt, und dir
Und mir und allen Unsrigen den Frieden. –

 

RUPERT.
Nein, sag mir, hab ich recht gehört, sie sehen
Sich im Gebirge, Ottokar und Agnes?

EUSTACHE steht auf.
O Gott, mein Heiland, was hab ich getan?

RUPERT steht auf.
Das freilich ist ein Umstand von Bedeutung.

Er pfeift; zwei Diener erscheinen.

EUSTACHE.
Wär's möglich? Nein. – O Gott sei Dank! Das wäre
Ja selbst für einen Teufel fast zu boshaft. –

RUPERT zu den Dienern.
Ist noch der Graf zurück nicht vom Spaziergang?

EIN DIENER.
Nein, Herr.

RUPERT.
Wo ist der Santing?

EIN DIENER.
Bei der Leiche.

RUPERT.
Führ mich zu ihm.

Ab.

EUSTACHE ihm nach.
Rupert! Rupert! O höre. –

Alle ab.