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Graf Manfred kniete zutiefst bewegt am Bett seines armen Freundes, der mit dem Tode rang. Im Zimmer war es still und traurig, die trübe Lampe erhellte nur spärlich den Raum. Kalt leuchtete der Vollmond in die Fenster herein auf das armselige Lager des Sterbenden, dessen keuchender Atem die düstere Trauer noch erhöhte. Ein Schüttelfrost ließ alle Glieder Manfreds erzittern, und Grauen umfing ihn am Lager des so lange mit dem Tode Ringenden; ihm war, als müßte er hinaus aus dem Zimmer, um den Atem von Lebenden zu vernehmen und nicht das Röcheln des sterbenden Freundes; um eine warme Hand zu spüren statt der feuchten, kalten des Leblosen. Leise stand er auf, trat an den Kamin und entfachte das schon fast erloschene Feuer, damit er etwas Lebendigeres und Helleres erblickte. Der Kranke jedoch richtete sich im Bett auf, ihn mit hervorquellenden getrübten Augen anstarrend, wobei seine Brust sich rasch ohne Unterlaß röchelnd hob und senkte.

Knisternd flammte nach einer Weile das Feuer auf und erhellte den Raum; unverhofft barst laut knackend ein verkohltes Holzscheit, ein Stück sprang in die Höhe und fiel mitten in der Stube auf dem Fußboden nieder. In diesem Augenblick schrie der Kranke durchdringend und schrecklich auf, und als sich Manfred nach ihm umdrehte, sah er ihn im Bett stehen und mit weit aufgerissenen Augen, die Arme vorgestreckt, auf jene Stelle starren, wo das verkohlte Holzstück noch glühte. Grauenhaft war der Anblick dieses anscheinend von großem Schrecken gepackten Sterbenden, auf den der Tod bereits sein Siegel gedrückt hatte und dessen kurzes Nachthemd die ausgemergelten Glieder nicht ganz bedecken konnte. Gespenstisch klang sein lautes Röcheln, das sich der Brust des Mannes entrang, der nicht leben und nicht sterben konnte, und dumpf wie aus dem Grabe hallten die Worte, die der Kranke, unentwegt auf das glühende Holzstück stierend, mühsam hervorstieß:

»Verschwinde, verschwinde von hier! Was willst du von mir, du bleiches Gespenst? Ich sage dir, laß mich!«

Manfred konnte sich, vor Entsetzen wie versteinert, kaum auf den Beinen halten. An die Wand gelehnt, sah er stumm diesem Tun seines Freundes zu, dessen Anblick ihm ein Grausen einjagte. Die Stimme des Kranken hallte noch lauter und durchdringender:

»Verschwinde von hier, sag ich dir! Was preßt du dich so fest an mein Herz ? Ich sage dir, laß mich!«

Und mit beiden Händen wild um sich fuchtelnd, sprang der Kranke mit aller Kraft aus dem Bett, stürzte sich auf die Stelle, wo das verkohlte Holz lag, ergriff es und warf es zurück in den Kamin; dann lachte er so wild auf, daß Manfred das Herz vor Grauen stockte, und legte sich wieder ins Bett. Die Kohle jedoch hatte in den Fußboden ein großes Loch gebrannt, das schon von weitem schwarz klaffte.

Und wieder war es still im Zimmer; Manfred atmete tief auf und näherte sich beruhigt dem Bett seines Freundes, dessen ruhiger und gleichmäßiger Atem und geschlossene Augen ihn überzeugten, daß er still und friedlich schlief.

Nach Mitternacht erwachte der Kranke wieder, setzte sich unverhofft im Bett auf, nahm vom Tisch seine goldene Uhr und sprach, sie Manfred in die Hand legend:

»Ich danke dir für alle Freundlichkeit, die du mir erwiesen hast, für alle Wohltaten und für den Trost, den du mir gespendet hast. Nimm diese Uhr, das einzige, was noch mir gehört; empfange sie zur Erinnerung an mich, und Gott sei mit dir, denn ich werde sterben!«

Und er sank nach hinten, sein Atem verhauchte, und er verschied. Manfred beugte sich über ihn, rief seinen Namen, legte seine Hand auf die von Schweiß feuchte Stirn und spürte, wie sie mehr und mehr erkaltete. Tränen des Mitleids rannen über Manfreds Wangen und benetzten das bleiche Antlitz seines toten Freundes Karl.

»Ruhe in Frieden«, flüsterte Manfred, »mögest du im Grabe die Ruhe finden, die dir auf Erden nie zuteil ward!«

Noch einmal drückte er die Hand des toten Freundes, hüllte sich in den Mantel, nahm die Uhr an sich und schlug den Heimweg ein.

Sehr spät erwachte Manfred am Morgen nach der durchwachten Nacht und begab sich wieder in die verlassene Wohnung des verstorbenen Freundes, wo er, von Trauer erfüllt, an den Leichnam herantrat. Auf dem erstarrten Antlitz gewahrte er einen Frieden, eine Ruhe, wie er sie zu Karls Lebzeiten nie gesehen hatte. Er sann über das leere Leben des Verstorbenen nach, den er seit vielen Jahren nicht hatte lachen sehen. Tränen stiegen ihm in die Augen, und er mußte sich von dem Toten abwenden. Da fiel sein Blick auf den von dem glimmenden Holzstück verbrannten Fußboden. Das ganze schreckliche Geschehen der vergangenen Nacht kam ihm wieder in den Sinn, und auf einmal fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, ob jene unverhoffte und sonderbare Erregung Karls nicht in Verbindung mit dieser Stelle im Fußboden stehen könne, wo die Glut ein Loch hineingebrannt hatte. Schaurige Gedanken huschten ihm durch den Sinn, und er dachte daran, wie doch manchmal schon das Gewissen einen Verbrecher in der Todesstunde verraten hatte; er erinnerte sich an die ständige traurige Stimmung des Freundes, ihm fiel auch Karls Gattin ein, mit der er lange unglücklich gelebt hatte, bis er endlich von ihr geschieden wurde. Wann immer Manfred später nach ihr gefragt hatte, konnte er von Karl nichts erfahren, dieser war bei solchen Fragen nur immer in Zorn geraten. Ihm fiel auch ein, wie unnachgiebig Karl darauf bestanden hatte, weiterhin in diesem Zimmer zu wohnen, obwohl ihn Manfred als Freund und Verwandter nachdrücklich eingeladen hatte, in sein Haus zu ziehen. Und auch daran erinnerte er sich noch, daß er vor einigen Jahren in den Zeitungen die Nachricht von der Ankunft des Grafen Karl gelesen hatte und daß dort stand:

»Er traf mit seiner Gemahlin ein.«

Einige Wochen nach dieser Nachricht über die Ankunft seines Verwandten hatte ihn Manfred besucht, ihn aber allein angetroffen, worauf ihm Karl von der Scheidung erzählt hatte. Dann hatte Manfred nicht weiter gefragt.

Dies alles fiel ihm jetzt ein, und als er sich entsetzt nach der Leiche umsah, schien ihm, als grinste sie und nickte zur Bestätigung mit dem Kopf.

»Ich muß mich überzeugen!« rief er laut, sich zum Fußboden niederbeugend. Deutlich bemerkte er nun, daß die mittleren Dielenbretter, in deren einem das Brandloch klaffte, locker waren, und er erblickte auch kleine Löcher, in denen früher Nägel gesteckt haben mußten. Die Spuren davon waren offensichtlich. Suchend schaute er sich im Zimmer um und entdeckte auf dem Tisch ein Küchenmesser. Er versuchte mit ihm das Brett anzuheben. Lange wollte es sich nicht bewegen, bis es endlich doch ein wenig nachgab; mit einem der Holzscheite, die neben dem Kamin lagen, schlug er das Messer tiefer in die Dielenritze, die Nägel lockerten sich, das Brett hob sich unversehens, und Manfred bemühte sich nun mit um so größerer Kraft und Anstrengung, es hochzuwuchten. Mit lautem Knacken gab es endlich nach, Manfred stemmte es heraus, aber was für ein schrecklicher Anblick genau unter dem Dielenbrett lag langgestreckt ein Totengerippe. Manfred brach, einer Ohnmacht nahe, zusammen, erst nach einer Weile kam er zu sich und fühlte, daß Geistesgegenwart und Besonnenheit hier vonnöten waren. Er faßte sich wieder und betrachtete das Skelett genauer. Zwischen den Zähnen steckte ein Blatt Papier. Manfred wandte das Gesicht ab, ergriff das Papier, faltete es auseinander und erkannte sofort Karls Schrift. Darauf stand geschrieben:

»Damit kein Unschuldiger in Verdacht gerät, bekenne ich hiermit, daß ich, Graf Karl der Mörder dieser Frau bin. Das Geständnis wird mir nicht mehr zum Schaden gereichen, denn lebend werde ich das Zimmer nicht verlassen. Dieses bescheidene Haus ist mein Eigentum, ich als einziger bewohne es, und ich weiß mit Sicherheit, daß ich nicht hinausgesetzt werde. Wenn ich jedoch nicht mehr lebe, wird auch mein Geheimnis offenbar werden, und für den mir unbekannten Finder füge ich noch einige Erklärungen und Erinnerungen aus meinem Leben hinzu. Ich bin Abkömmling eines reichen Grafengeschlechts. Mein Vater war ein bedeutender Mann und liebte mich sehr; sein Hochmut jedoch war maßlos, und seinem Ahnenstolz zuliebe war er bereit, sogar das Glück seines eigenen Sohnes zu zerstören. Eines Tages trat ich in den Laden eines Uhrmachers, um mir eine schöne Uhr zu kaufen. Die reizende Tochter des Uhrmachers vertrat ihren Vater. Ihre Schönheit bezauberte mich, das unschuldige Gesicht nahm mich gefangen. Lange, sehr lange plauderte ich mit ihr, bis ich endlich eine kostbare Brillantuhr kaufte. Nach einigen Tagen suchte ich den Laden wieder auf; fortan kam ich immer häufiger und , kurzum, wir verliebten uns. Ich eröffnete meinem Vater, daß ich die Tochter des Uhrmachers zur Frau nehmen wolle. Mein Vater verfluchte und enterbte mich. Ich überredete meine Geliebte zur Flucht; sie entwendete ihrem Vater Geld und Juwelen und floh mit mir. Wir flüchteten weit, damit uns keiner zurückholen konnte, dann verkauften wir die Juwelen, und das Geld reichte zu einem ordentlichen, ja sogar üppigen Leben. Von der Uhr aber, dieser Ursache der Bekanntschaft mit meiner liebsten Ulrike, trennte ich mich nie. Ulrike hat mir erzählt, daß ihr Vater sie mit eigener Hand angefertigt habe. Eines Tages blieb sie von selbst stehen; ich wollte sie aufziehen, aber umsonst; sie ging einfach nicht mehr. Ärgerlich legte ich sie weg; nach einigen Stunden nahm ich sie wieder in die Hand, und siehe da, sie ging! Ohne zu wissen, warum. notierte ich mir Tag und Stunde, da sie stehengeblieben war. Kurz darauf las ich in einer Zeitung die Todesnachricht von Ulrikes Vater, der als Bettler gestorben war.

Wir aber lebten glücklich miteinander, denn wir liebten uns. Inzwischen vergingen viele Jahre, und eines Tages erhielt ich eine Einladung zum Abendessen bei einem guten Freund. Ich rüstete mich zum Gehen. ›Wann kommst du wieder?‹ fragte Ulrike. Ich bestimmte die Stunde. ›Laß mir die Uhr da‹ sprach sie, ›damit ich nicht die Stunde verpasse. da ich mich auf deine Rückkehr freuen kann‹. Ich übergab ihr die Uhr und eilte zur festgesetzten Stunde nach Hause; aber was für ein Wiedersehen! In ihr Zimmer tretend, überraschte ich sie in den Armen eines fremden Mannes. Erschrocken schrie sie auf. Ich war wie betäubt und hinderte den Verführer nicht daran, zu flüchten. Beide standen wir betreten einander gegenüber. ›Nächstens mußt du vorsichtiger sein‹, sprach ich schließlich. ›Hättest doch auf der Uhr sehen können, wann ich wiederkomme, und konntest deinen Liebhaber fortschicken!‹ Ich nahm die Uhr und zeigte spöttisch auf die Zeiger. ›Sie ist stehengeblieben!‹ rief Ulrike, mit einem schmerzlichen Lachen das Gesicht abwendend. In der Tat, die Uhr war stehengeblieben, solcherart die Betrügerin betrügend, und so wurde durch sie ihre Schändlichkeit entlarvt. Unsagbar angewidert schaute ich auf die Uhr, da ruckte der Zeiger unmerklich, und die Uhr ging wieder. Ich schwor meiner untreuen Frau Rache, stellte mich jedoch freundlich, und bald darauf ging ich auf Reisen. Als ich nach längerem Umherirren hierher gelangte, erkundigte ich mich, wo ein kleines Haus zu verkaufen sei, in dem ich allein wohnen könnte. Bald bot man mir ein solches zum Kauf an, ich gab dafür den ganzen Rest meines Vermögens hin und zog mit Ulrike ein. Nachts, während sie schlief, ermordete ich sie dann. Ich hatte schon ein Dielenbrett gelockert, darunter legte ich die Leiche und nagelte das Brett wieder fest. Dann zog ich die Uhr hervor, die die Ungetreue verraten hatte, als sollte sie sehen, wie ich meine Schmach gerächt hatte; die Uhr jedoch war stehengeblieben, und die Zeiger zeigten auf Mitterrnachta, die Stunde, da Ulrike ermordet worden war. Laut lachte ich auf, setzte mich an den Tisch und schrieb dieses Geständnis nieder. Morgen werde ich das Haus abschließen, werde eine weite Reise unternehmen, und wenn ich wiederkomme, wird die Leiche schon verest sein.«

Eine entsetzliche Abscheu bemächtigte sich Manfreds. Er eilte hinweg aus diesem schreckensvollen Hause und schloß sich den ganzen Tag in seinen Gemächern ein. Die Uhr lag vor ihm, sie war keine Minute stehengeblieben, und furchtbare Gedanken jagten ihm durch den Kopf. Am nächsten Tage jedoch hatte sich sein Sinn beruhigt, den Toten aber mochte er nicht mehr sehen, sondern ließ die beiden Gatten in aller Stille begraben und begab sich dann auf eine weite Reise., um dieses traurige Bild menschlicher Vergehen aus seinen Gedanken zu verbannen.