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Gedichte

von Iwan Andrejewitsch Krylow

Der Bach

Ein Schafhirt klagte einem Bach
Sein Ungemach:
Daß ihm der Strom sein liebstes Schaf entrissen.
Sobald der Bach das hört,
Tut er empört.
»O dieser Strom! Wär er wie ich nur klar
Bis auf den Grund, so würde offenbar,
Wieviel der Unersättliche verschlang!
Ihm wird vorm eigenen Schmutz noch einmal bang!
Wenn ich ein Lamm auf dem Gewissen hätt,
Verkröch ich mich vor Scham in meinem Bett.
Gäb mir der Himmel nur Gelegenheit,
Zum Strom zu wachsen, oh, ich würde weit
Entfernt von jeder Ungerechtigkeit
Den Weg mir suchen und nur Gutes tun!
Gefährdet wär nicht das geringste Huhn;
Der Grashalm, der in mir sein Bild erblickt,
Wie Busch und Baum würd er von mir erquickt.
Ich wäre aller Flur ein Segen
Wie milder Sommerregen.
Ja, meine Ufer grünten stets in Frieden,
Solang mir Wasser nur genug beschieden,
Ein Strom zu sein. So klar, wie jetzt ich bin,
So silbern strömt ich auch zum Meere hin.«
Soweit der Bach, der, scheint es, ehrlich ist.
Doch unversehens tut nach Wochenfrist
Der Himmel seine grauen Schleusen auf,
Zum Strom schwillt unser kleiner Wasserlauf -
Und nun erweist sich, was er führt im Schilde,
Denn ach, wo blieb die vorgehabte Milde!
Von trüben Fluten wird das Land verheert,
Das Wasser rast und läßt nichts unversehrt,
Es müssen hundertjährige Eichen
Dem Aufruhr weichen.
Und über unsem Hirten, der sich Trost
Vom sanften Bach versprochen hatte, tost
Der Mahlstrom hin und reißt, ein Donnerwort
Ihn samt der Herde ins Verderben fort.
Wie viele Bäche gibt es, die versprechen,
Zum Strom geworden, alles Land zu laben,
Doch furchtbar über ihre Ufer brechen,
Sobald sie einmal Oberwasser haben.