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An Johann Gottfried Seume

Am 20. des Eismonats 1791

S e u m e!

Gades aditure mecum etc.
Hor. L. II. O. VI.

Steige vom Hügel, Freundin der grauen schlummernden Barden!
Du Begeist'rung, durchrausche heute mir lauter die Sayten:
Rufe den Geist des Celten aus seiner schweigenden Halle;
Ruf ihn tief aus der Staffa düsteren Säulengelüst[1].

Möge er mir lehren heiliger Vorzeit hohe Gesänge
Und die Leyer der Hylo stimmen zu Schauergelispel[2],
Das sie mir tön' als Saufen des Winds im Fichtengehölze:
Denn, ich singe für Seume, den mir das Schicksal entriß.

Redender töne heute und lauter, einsame Harfe!
Denn Erinn'rung enthüllt mir Szenen verflossener Tage;
Malet Neuschottlands Muschelgestade, malet des Zelt mir,
Wo ich Seume den Denker, unter den Kriegern einst fand.

Denkst du noch, Seume! Jener, so schnell entflohenen Stunden,
Da wir traulich uns freuten unter den sausenden Kiefern,
Neben dem perlenstäudenden Felsbach grauer Gebürge,
Und auf schwellender Mooßbank horchten der Vögel Gesang?

Oder im Jenkilake Forellen fiengen, mit gleicher[3]
Lust und Eintracht. Was war's, das schnell uns so innig vereinte?
Treue erkennt die Treue im Zwielicht, wie an der Thürschwell
Schon dem freundlichen Mann bekannt wird ein freundlicher Gast.

Aber was rief dich damals zum Eyde, den du mir schwurst;
"Auch vom Scheitel Vesuvs und wollt' es das Schicksal, aus Algiers
Klirrenden Ketten Freundesgesang herüber zu tönen?"
Wars Gelübbe der Freundschaft, oder was war er, der Schwur?

Antworte, Seume! Bist du ein Teutscher? Ist dir auch heilig
Jedes ernste Versprechen, und der gegebene Handschlag!?
Wisse, der Mann von Ehre erfüllt, Verheißung und Pflichtwort.
Wollt'st du brechen die Schwüre, sprich! Warum schwurst du sie denn?!

Da mich des Meeres friedliche Wogen spielend umtanzen;
Da dem Weltmeer entquollen rollende Wassergebirge;
Stürme die schwanken Maste zerschellen, Wellen den Schiffbord
Peitschten tobend der Abgrund brüllte - gedacht ich doch Dein.

Da wir getrennt des Vaterlandes frohen Ufern uns nahten;
Da das Mädchen der Liebe Thränen der Freude nun weinte,
Und in der Heimath Vater und Mutter, Schwester und Freunde
Mich entzückend umarmten - Seume! Gedacht' ich doch Dein.

Wenn auf des Lebens staubigen Heerweg wallend ein Fremdling
Mir begegnete, sprach ich grüßend zu manchem: du Waller
Ferner Provinzen! Kennst du nicht Seume? Seume den Dichter.
Tausend giengen vorüber; Tausende fragt' ich umsonst.

Leztlich gedacht ich: forsche der Pilger, warin und begierig,
So wie du nach ihm forschest, endlich entdeckte mir einer,
Daß er ihn kenne; daß auch der Denker dächte des Freundes -
Nein, er fragte der Keinen: denn, er vergaß ja den Schwur:

Doch, es durchweht wol lange der Nordwind säuslndes Gräschen
Ueber seinem Schein; wol deckt schon die Erde den Freund - so
Dacht' ich und gieng: doch endlich erscholl dein Name von Ferne.
Plötzlich wollte mein Busen; plötzlich erstarrt' er und schieg.

Schweige Gefühl der Liebe; verstumme, Stimme der Freundschaft:
Denn der Schwärmer verlernte diese vertrauliche Sprache.
Tonleer sind die, von Algier verheißenen, Freundesgesänge;
Kalt sein Busen - so gedacht ich, plötzlich entrüstet, und schwieg. - -

Dennoch zerbricht die Freundschaft des Zornes lästige Fesseln,
Und die Stimme des Rufers hallt aus dem öden Gebirge.
Wird sie mir wiedertönen aus Braga's eichenumkränzten[4]
Halle? Ob wol der Freund die Stimme des Rufers noch kennt?!

Ehedem wär er mit mir gegangen über der Alpen
Scheitel, über der Meere Rücken, von Pole zu Pole.
Ob er wol dann im friedlichen Thale neben mir wohnte,
Wenn vom Alter nun grau, und müde vom Wandern wir sind?

Von der Erinn'rung Träumen umgaukelt, würden wir dann mit
Spaten herbstlichen blumen, unsere Becher bekränzen;
Unter der Ruhe Myrthengeläube sizzen, uns unsers
Lebens Morgen noch freun und fröhlich ins Abendroth sehn.

Würden noch oft im Geiste Neuschottlands Hayne besuchen
Wo der Wilde die Friedenspfeife Dir reichte und sagte:[5]
Gott mit uns! Meine Rede ist rein, wie Stralen der Sonne!
Nehmt die Pfeife, der Geist der Geister geleite Euch heim.[6]

Schwiege, Gefühl der Liebe; verstumme, Stimme der Freundschaft:
Denn der Schwärmer verlernte diese vertrauliche Sprache.
Tonleer sind die, von Algier verheißenen, Freundesgeänge;
Kalt sein Busen - so gedacht ich, plötzlich entrüstet und schwieg. - -


[1] »Aus der Staffa düsteren Säulengeklüst.« Die Fingalsgrotte auf der Insel Staffa, an der Westküste von Schottland. Sie ist berühmt, wegen ihrer seltsamen Lage zwischen Meer und Land, ihrer Größe, den von der Natur gebildeten Basaltsäulen und ihren Schauder erregenden Anblick. Das Volk glaubt deshalb, die Geister Fingals und Issians wohnten darin.

[2] »Die Leyer der Hylo« Hylo war bey den alten Teutschen, und besonders bey den Sikumbrienrn, eine Gottheit der Hirten. Noch jetzt trifft man in Paderbornschen den ausruf: Hylo! Oft unter den Hirten an. Z.B. wenn sie sich einander etwas von Ferne zuriefen, so rufen sie jedesmal vor- und nachher in einem singenden Tone: Hylo! Es wäre zu wünschen, die teutsche, oder Cimbrische Götterlehre würde genaue nachgesucht, und die Nachkommen jener verötterten Helden, mit ihren Vorfahren bekannter gemacht, als bisher geschah. Vielleicht wären die Götter der Skalden so gut zu benuzzen, für teutsche Dichter, als die , der Griechen und Römer.

[3] »Oder im Jenkilake«. Einer von den vielen Landseen in den wüsten Gebirgen um Halifax in Neuschottland. Ins Teutsche übersezt heißt das Wort nichts anders als, der Wildensee.

[4] »Braga’s - - Halle« Braga, Bragar, die alte wendische Gottheit der Beredsamkeit oder Dichtkunst.

[5] »Die Friedenspfeife etc.« Ein bekannter Gebrauch der Wilden, jemanden mit dem sie Freundschaft errichteten, zur Bestätigung, die Pfeife des Friedens zu reichen. Nimmt er sie an und raucht, so ist der Bund geschlossen.

[6] »Der Geist der Geister« oder noch gewöhnlicher »Der große Geist«. Unter dieser Benennung verstehen sie Gott