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Gedächtnisrede auf Johann Georg Jacobi bey dessen akademischer Todtenfeier in der Hauptkirche zu Freyburg

vom 16.11.1814.

Magnificenz!

Verehrte theure akademische Väter und Bürger!

 

Unsere Vorfahren beobachteten als eine heilige Uebung, Jedem ihrer hingegangenen Brüder ein feyerliches Wort der Liebe, der Trauer, der frommen Erinnerung nachzurufen. Gewiß eine schöne und freundliche Sitte und die unsern natürlichsten Gefühlen entspricht! Wirft doch die Feyewr der Abschiedsstunde einen wehmütig tröstenden Schein auf die ganze Periode der Trennung, und hoften die Züge des Entfernten lebendiger in Freundes Gemüth, wenn ein mal ihre Farben aufgefrischt werden mit Liebe und Wahrheit! — Wohl verdient auch, wer freundlicher Theilnehmer unserer Sorgen und Mühen gewesen, daß seinen Namen ein Opfer des Schmerzens und des Dankes gebracht werde; es mag die Vorhaltung eines edlen Beypsieles nützlicher Nacheiferung wirken, und die brüderliche Liebe unter den Lebenden wird genährt und gestärkt durch Erfüllung der Pflicht gegen die Todten.

Den Eindruck dieser Todtenfeyer gehörig aufzunehmen, dazu scheint unser Gemüth geeigneter einige Zeit nach der Trennung von den Freunde, als wenn im Augenblick seines Hinscheidens unsere Empfindungen alle in der des Schmerzes sich verlieren, und das Bild des Betrauerten nur mit zitternden Farben in unsern Thränen schwimmt. Später werden die Gefühle ruhiger, die Züge des Verstorbenen treten mit Bestimmtheit und Klarheit vor unsere Seele: was wir itzo von ihm sprechen, mag treu, wahr, und von bleibender Wirkung seyn.

Zu solcher Feyer sind wir heute versammelt, akademische Väter und Bürger! — Johann Georg Jakobi — lange Jahre hindurch die Zierde dieser hohen Schule und ihre Freude, der edle und liebevolle, der geliebte und verehrte Freund und Lehrer, den wir in den ersten Tagen dieses jetzt sinkenden Jahres begruben, hat das ihm gebührende Traueropfer von uns noch nicht erhalten. — Laßt uns anspruchslos, aber liebend seine Urne bekränzen! —

Nicht um den gefeyerten Dichter ein seiner würdigen Denkmal zu errichten — hiezu gehört eine eigene Weihe, und der Teutsche Anakreon wird wohl im Teutschen Vaterland nicht ohne solches Denkmal bleiben — nur um den theuern Entschlafenen noch einmal liebend in unsere Mitte zu rufen, betrete ich, nach Eurem ehrenvollen Auftrag sowohl als nach der Stimme meines eigenen Herzens, die Trauerbühne, und zweifle nicht, für meine kunstlosen Worte eine wohlwollende, unsern Zweck erfüllende Aufnahme bey Euch zu finden. Denn kein Rednertalent, keine besondere Wissenschaft wird hiezu erfordert; es genügt, um von Jakobi mit Wärme und Erfolg zu sprechen, daß man ihn gekannt habe und fühle. Ihr verehrte Väter und Kollegen! Ihr beweinet Alle in ihm den treuen liebevollen Genossen Eurer Arbeiten: — Mehreren unter Euch war er noch besonders vertrauter Freund… Zu diesem doppelten Verlust, den ich wie ihr beklage, kömmt bey mir noch der dritte, den ich mit Euch, Ihr jüngeren akademischen Bürger, Ihr trauernden Schüler und Zöglinge Jakobi’s, theile ….. Denn auch mir, wie Euch, war Jakobi ein herrlicher und väterlicher Lehrer, dessen Wort und Beypsile ich wie Ihr das Erwachen manches schönen Gefühles, die Entfaltung edlerer Geistesblüthen, mancen guten Entschluß, und im Gebiet der Erkenntniß wie der Empfindung viele der kostbarsten Genüsse meines Lebens verdanke. Wohl gab Jakobi später dem Manne den Namen und die Rechte des Freundes; aber niemal verlor sich aus meinem Gemüth jene kindliche Verehrung und Liebe, die ich als Jüngling für ihn empfinden gelernt hatte, und fortwährend als eine heilige und süße Verpflichtung betrachtete. Billig demnach, daß ich vor Euch und für Euch Alle das Wort der Trauer führe — denn Euer aller Schmerz ist der meine.

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In den Zügen, die von unserm entschlafenen Freund uns vorschweben, und sein theures Bild unserm Gemüth vergegenwärtigen, spricht uns zuvörderst eine seltene Harmonie, eine bewunderungswürdige Einheit an. Es giebt Menschen, die in verschiedenen Stufenaltern, oder in verschiedenen Situationen ihres Lebens als ganz veränderte Personen erscheinen. Viele sind, die, wenn man ihr öffentliches mit ihrem Privatleben, ihren Charakter als Schriftsteller mit jenem als Mensch und Bürger, ihren Geist mit ihrem Herzen, ihre Grundsätze mit der Ausübung, oder ihre Worte mit den Thaten vergleicht, einen mannigfaltig verschiedenen, oft ganz kontrastrirenden Anblick geben. Jakobi nicht also! Wo immer wir ihn aufsuchen — von den Rosenjahren der Kindheit bis zum Augenblick der stillen Vollendung, in Freude und Leid, in der Einsamkeit der Betrachtung und des Genusses wie im geselligen Kreis oder in Uebung der Berufspflicht, in patriotischer und humaner Erhebung, in Rede, Schrift und Handlung — allenthalben begegnet uns dasselbe freundliche Bild, dessen Züge zwar, nach Zeit und Umständen, in den verschiedenen Tinten der Jugendlichkeit und des Alters, des Scherzes und Ernstes, der Fröhlichkeit und Trauer, der zärtlichen Theilnahme und der strafenden Mißbilligung, der Ruhe und der Begeisterung erscheinen; aber immer und überall durch einen beharrlichen Grundcharakter als dieselben sich dastellen:

»Jakobi war von der Natur zum Dichter, im hohen Sinne des Wortes, geschaffen, auch hat er diesen Beruf aufs vollkommenste erkannt und erfüllt« — also däucht mir, läßt die Summe seines Charakters sich aussprechen.

Die Alten sagten, daß etwas Göttliches in der Dichtkunst liege; die Worte der Dichter verlichen sie gerne mit Götterworten oder Orakelsprüchen, und priesen dankbar ihre wunderähnliche Kraft. Sehr wahr und gerecht! Denn unter den Kräften unseres Geistes ist wohl jene die edelste, die aus sich selbst erzeugt und schafft, und eingeborne Schätze spendet — nicht aber jene, die —wenn auch in reicher Fülle — fremde Kenntniß — überhaupt schon vorhandenes — sich aneignet, gut combinirt, und — obzwar mit Wucher und zu mannigfaltigem Gebrauche — wiedergiebt. Auch viele Erfindungen sind, die — seyen sie groß in ihrem Gegenstand und heilbringend der Menschheit — den Urheber minder ehren, weil er etwa durch äußern Zufall zu ihnen geleitet ward, oder wenn selbstthätig, doch mühsam, durch langwierige Forschung und Versuche, vielleicht auch auf einer durch den Fleiß und von Vorgängern geebneten Bahn dahin gelangte. Weil anderst der Dichter! Was Er uns giebt ist der ungehemmte Strom seiner Gefühle, das natürlich Leuchten seines Geistes, fast unwillkührlich von ihm ausgehend und — in höherer Begeisterung Stunde — nur der Nachtklang desjenigen, was in seinem Innersten wie von himmlischen Welten herniedertönt. Nach solcher — den Alten beliebten — Ansicht wird dem Dichter zwar ein geringeres Verdienst der Selbstthätigkeit, aber ein höherer Adel — wie des Organs einer Gottheit — ertheilt. Und allerdings mag im Gebiet der meisten ernsten Disciplinen, selbst in jenem der Philosophie, jeder wohl organisirte Kopf, nach eigener Auswahl, durch Fleiß und Mühe Schätze der Erkenntniß graben und selbe mittheilen. Dichter kann nur jener seyn, dem von oben herab der Ruf, die Weihe dazu geworden. Poëta nascitur …

Solchen Ruf erhielt unser Jakobi. Und schon in zartester Jugend vernahm er denselben. Reizbarkeit und Wärme des Gefühls, das tiefe Gemüth, ein feiner Sinn und treue Liebe für das Schöne, vor allem aber eine reiche, lebendige Phantasie und die Kraft der Begeisterung waren ihm als Jüngling eigen, und verließen ihn als Greisen nicht. Auch die Gattung der Dichtkuns, und die besondere Spähre, in welcher er hervorglänzen sollte, waren durch die Natur ihm angewiesen. Seine Phantasie hatte den fortwährenden und schwer zu haltenden Schwung des Homerischen oder Klopstokischen Epos nicht, auch nicht den kühnen Flug, das flammende Feuer der Pindar’schen Dithyrambe, sie war weder dieser noch menschenfeindlich, und hätte so wenig die nächtlichen Klagen eines Young, als Swifts beißende Satyren erzeugt. Ihr eigenthümlicher Charakter war Harmlosigkeit, Freundlichkeit und holde Freude. Nicht nur in Schriften, auch im Reden und Thun, und in der beständig heiteren Stimmung des Gemüthes spiegelte sich dieser Charakter. Den dürftigsten Gegenstand wußte der liebliche Sänger mit unerschöpflichen Reizen auszustatten, und was andern ganz öde und düster erschien, dem gewann er mit Leichtigkeit eine anmuthige Seite ab. Ja, er pflegte oftmals zu sagen, daß er einen unfruchtbaren Gegenstand lieber als einen reichen bearbeite, weil er, wenn viel gegebenes vorliege, durch die Nothwendigkeit von dessen Darstellung sich eingeengt fühle., dagegen bey einem dürftigen Stoff ihm erlaubt sey, jenseits desselbeen im Gebieth der Phantasie nach Gefallen zu schwärmen. Die »Beschreibung seines Wohnzimmers« die wir alle mit Rührung und Freude in der Iris lasen, die »Winterreise,« die den Kranz seiner früheren Poesien eine der lieblichsten Blumen ist,m und so viele andere, welche unverwelklich in dem Garten der teutschen Dichterwerke blühen, sind Proben dieser holden und zauberischen Phantasie. Nur von dem, was ihm niedrig, eckelhaft, häßlich, im physischen, noch mehr im moralischen Sinne erschien, wandte er sich ab mit einem Widerwillen, der so lebendig als seine Empfänglichkeit und Liebe für alles Schöne war. Darum mocht er nicht gerne, selbst strafend nicht, das Laster schildern; er mahlte dafür die Liebenswürdigkeit der Tugend; aber die Rührung, womit er über dem Bild der Unschuld weilte, drückte am kräftigsten aus — und erzeugte — den Abscheu vor Ausschweifung.

Dieselbe Phantasie, die so freundliche Dichterwerke gebar, lebte auch in Jakobi’s Gesprächen, erschien in seinen Neigungen, in seinem Wandel, und wirkte wohlthätig auf Alles, was ihn umgab. In seiner Nähe verschwanden Düsterkeit und Trübsinn; es mochte der finstere Misanthrop in Jakobi’s Umgang die Welt und die Menschen lieben lernen. In ihm selbst waren Genügsamkeit, Ruhe, Standhaftigkeit und andere schöne und edle Eigenschaften der Seele zum Theil Töchter seiner Phantasie. Durst nach Gold und Ehre, Mißvergnügen mit der Gegenwart, beängstigende Sorge der Zukunft — wie hätten sie aufkommen mögen in seinem Gemüth, da er, was er bedurfte um glücklich zu seyn, in sich selber fand, und was den Verhältnissen und Dingen die ihn umgaben an eigener Annehmlichkeit gebrach, aus der Imagination in sie hinein legte? — Niemals kümmerte er sich um sein Fortkommen in der Welt oder um vermehrten Erwerb; die Stellen, die er bekleidet, wurden ihm ohne sein Zuthun durch Vermittlung sorgsamer Freude verschafft; er selbst war ohne Besitzthum reicher, als der Herr von Millionen. Die Schätze der Natur, der Schmuck der Jahreszeiten gehörten sein, denn er freute sich ihrer:— in sein bescheidenes Zimmer, an trübsten Wintertag zauberte er sich einen Feenpllast, eine sonnige Landschaft. Als noch in den Tagen seiner Jugend, ein unglücklicher Brand das väterliche Erbgut ihm verzehrte, blieb sein Frohsinn ungetrübt; als später eine drangvolle, eiserne Zeit auch des Dichters stillen Herd mit Gefahren umlagerte, und das harte Gesetz der Entbehrung eine allgemeine Niedergeschlagenheit verbreitete — da behielt er — sein patriotisches Leide um höhere Dinge abgerechnet — den heitern Gleichmuth bey, und in der letzten Lebensphase, da vieljährliche Kränklichkeit ihn fast unabläßig ans Lager band, der Freund der Natur ihrer Herrlichkeiten fast gar nicht mehr ansichtig ward, als zunehmende Schwäche und Schmerz auch den Freundesumgang und häusliche Freuden ihm verkümmerten; da strahlte gleichwohl sein Anlitz von jenem milden Schein, der ein Abglanz jener innern Heiterkeit war, womit eine schöne Ideenwelt des Dichters Gemüth erfüllte. Ja! selbst den Sarg seines Sohnes, des einzigen des inniggeliebten umwand seine Phantasie mit lieblichen Blumenkränzen. In der Vergegenwärtigung der Vaterfreuden, die er früher genossen, in dem Vorgefühl der Wonne beym Wiedersehen über den Sternen, in der Vorstellung der Gefahren und Bedrängnisse, denen der Jüngling durch den Tod entgangen, sogar in der freundlichen Lage des Kirchhofs, wo der Liebling schlummert, fand Jakobi Trost über den schrecklichen Verlust.

O daß er noch unter uns lebte, der holde Jüngling, und die Beweise der Liebe von uns empfienge, die wir dem Vater nicht mehr zu geben vermögen!— Daß er lebte und enporwüchse, ein würdiger SPrößling des edlen Baumes, der so lang unsern Hain verherrlichte!

Erst seit dem Tod dieses hoffnungsvollen Sohnes — und hieran mochte man erkennen, was er dem Vater gewesen — schien Jakobi mit Ruhe und Heiterkeit seiner eigenen Auflösung entgegen zu sehen. Früher hatte er — bey aller Reinheit seines Bewußtseins, und ungeachtet seines festen Glaubens der Unsterblichkeit, seiner Verachtung gemein irdischer Genüsse, und des gen Himmel zur Unschönheit mit Liebe gewandten Blickes — nie ohne Grauen an den Tod gedacht. Er gab sich Mühe, vor sich selbst und andern solches Grauen zu verbergen; aber diese Mühe und der Eifer, womit er alles aufsuchte und auffaßte, was die Schreckensgestalt des Todes zu verschleyern diente, verrieth eben am deutlichsten seine geheime Furcht. Sein Innerstes erschauderte vor dem Gedanken der Verwesung. Die Reizbarkeit seiner Empfindung erhielt hier den Sieg über seine sonst so zauberische Phantasie; oder es gab wohl diese selbst und mit verstärkten Tinten das Bild zurück, welches in früher Jugend schon von außen in sie gekommen. Oftmals klagte Jakobi, daß die freundliche Vorstellung des Todes, welche die Alten hatten, nicht mehr die unsrige sey, daß an die Stelle des Jünglings mit der umgestürzten Fackel ein scheußliches Gerippe, bewaffnet mit der drohenden Sense, getreten; und daß, wo sonst die Bilder der Ruhe und des sanften Schlafe hold uns ansprachen, nunmher ein grinzender Schädel an den Moder des Grabes erinnere.

Aber nicht nur die Scheu vor solchem Bilde war es, woraus Jakobi’s Grauen vor dem Tode floß;— einen noch größern Theil daran hatte seine Liebe; und diese schöne Eigenthümlichkeit seines Charakters bringt ihn wohl unserm Herzen am nächsten. Sein innerstes Wesen war Liebe. Nicht nur was ihn näher angehörte, seine Gattin, seinen Sohn, sein Freunde —auch seine Mitbürger, sein Vaterland, alle Guten, die ganze Menschheit, ja die gesammte Natur und alle ihre Gebilde, von dem herrlichen Tagesgestirn bis zur Blume des Feldes, liebte er warm, herzlich, innig, demnach auch das Leben, in welchem und durch welches er dieß alles besaß und erkannte. Manche seiner Freunde schlummerten vor ihm hinüber, und das Vorgefühl des zärtlichen Wiedersehens minderte seine Todessucht: aber noch war ihm hienieden des Lieben viel, und das Allerliebste geblieben; als auch dieses seiner Umarmung entfloh, da wandte sein Blick sich mit Heiterkeit und Sehnsucht nach dem Sternen. —

Phantasie und Liebe! köstliche Gaben des Himmels, wohlthätig für den, der sie empfieng, und für alle, die ihm nahe sind! Aber ihre Wirksamkeit mag vermehrt, ihre Verdienstlichkeit gesteigert werden, durch eigenen selbstthätigen Geisteserwerb und durch Uebung der ernsteren Pflicht.

Frohsinn und Kindlichkeit hinderten unsern Jakobi nicht, von seiner zartesten Jugend an, einen großen Theil seiner Zeit den Studien zu widmen. Nicht nur Poesie und Kunst, und die Schätze der klassischen Literatur; auch die ernsteren Disciplinen, die Natur und der Mensch, Philosophie und Geschichte waren Gegenstände seines treuen und eifrigen Studiums, und sein von Natur heller und empfänglicher Geist eignete sich leicht idesen Schatz von Erkenntnissen an. Nur die ganz trockenen, zumal positiven Fächer, und die gar nichts der Phantasie darbieten, waren ihm zuwider; wie er denn mehrmals mit vergnügten Lächeln erzählte, daß er als Jüngling, da man ihn zum kanonischen Recht hatte nöthigen wollen, sein prächtiges corpus juris in einer Anwandlung Eckel zum Fenster hinaus auf die Straße geworfen. — Auch schätze er die pedantische Gelehrsamkeit zumal jener Literatoren nicht, welche ihr Leben damit zubringen, Bücher kennen zu lernen, oder die Meinungen anderer zu studiren, für sich selbst aber gar keine Meinung oder Urtheil haben, und verglich sie mit Kastellanen, die zwar die Schlüssel zu den schönen Gemächern und Schätzen eines Schlosses hätten, aber nichtg deren Eigner, sondern nur zur Oeffnung derselben für diejenigen, denen sie gehörten oder die sie zu brauchen verstünden, bestimmt wären. Die sogenannten Brodstudien, in sofern sie es wirklich sind aber als solche getrieben worden, zogen ihn gleichfalls wenig an. Er suchte in der Wissenschaft nur sie selber und die persönliche Vervollkommung. Das Studium der Natur und der Menschen sollte den Reichthum seiner Phantasie vermehren, und seiner Liebe fortwährende Nahrung geben. Die Geschichte war ihm theuer als eine Galerie edler und großer Menschen, als eine Sammlung rührender, erhebender, erschütternder Züge, als Darstellerin menschlicher Hoheit und Kraft, und einer waltenden Vorsicht. In der Philosophie liebte er vorzüglich diejenigen Ideen, welche dichterische Ansichten zulassen, oder den erhebenden Ahndungen unseres Herzens zusaen. Darum schätzte er Plato mehr als een Stagiriten, war Helvetius, Hume und Voltaire’n gram, und hing mit Innigkeit an Mendelssohn, Herder, und dem hohen Redner »von göttlichen Dingen.« —

Dasjenige aber, ohne welches daß einsame Studium, und der Umgang mit todten oder bloß durch die Schrift zu uns redenden Lehrern nur unvollständig wirken, und dessen Entbehrung fast unausweichlich Einseitigkeit, Unbestimmtheit und mannigfaltige Verirrung, die Vernachläßigung und Ertödtung vieler in uns schlummernder Anlagen, oft auch ein völliges Ermatten unsers geistigen Lebens zur Folge hat — die gegenseitige Mittheilung, die vertraute Berührung edler und kräftiger Geister — das ward vom Schicksal unserm Jakobi im riechsten Maaße gegönnt. Die schönsten und größten Geister — das ward vom Schicksal unserm Jakobi im reichsten Maaße gegönnt. Die schönsten und größten Geister aus der goldenen Periode der Teutschen Literatur, waren fast alle mit ihm durch vertrauten Umgang und Briefwechsel, durch innige Freundschaft, zum Theil durch Verwandtschaft verbunden; und der Biograph unsers Dichters hat seine Leser in den herrlichen Kreis der genievollsten und liebenswürdigsten Menschen, als eines Kloz, Gleim, Sulzer, Spalding, Mendelsohn, Ramler, Lessing, Lambert, Diderot, Klamer-Schmidt, Zachariä, einer Karschin und la Roche, eines Herder, Wieland, Klopstock, Heinse, Göthe, Voß, Schlosser, Friedr. Jakobi, Joh. Von Müller, Basedov, Pfeffel und vieler andern einzuführen, die, wenn sie auch zum Theil wie Mathisson, Salis, Baggesen, erst später oder nur vorübergehend mit Jakobi in Bekanntschaft traten, dennoch einen geistigen Einfluß auf ihn gehabt, und von ihm empfangen haben. In dem Kreise solcher Menschen, von welchen man um so freudiger empfängt, wenn man hinwieder auch Ihnen giebt, da öffnen sich die innersten Fächer und Falten unsers Gemüthes, Funken des Geistes sprühen auf; die ohne den Anstoß anderer Geister immer geschlummert hätten, schöne Gefühle werden aufgnährt und gestärkt durch sympathische Berührung.

Selbst die Erinnerung solcher genossener Mittheilung, wo edle Herzen gegenseitig sich aufschlossen, und die verbrüderten Geister im kühnern Flug zu ungeahndeten Höhen sich aufschwangen, wirkt im Gemüthe fort, beseligend und erhebend. Wie oft hörten wir unsern Jakobi mit Entzücken von den köstlichen Stunden sprechen, die er also mit Gleim, Wieland, Klotz, Pfeffel, Schlosser und vor allem mit seinem herrlichen Bruder verlebte! Das Gesicht des Greises verjüngte sich alsdan, und ward wie übergossen von dem Schein der Verklärung.

Manche sind, welche die Weichheit und Reizbarkeit des Gefühls für unverträglich halten mit männlicher Kraft und Festigkeit des Charakters. Mögen sie ihre Widerlegung in Jakobi’s würdevoller und standhafter Tugend finden! Bey ihm sprach die Hoheit des Geistes, der Adel der Gesinnungen sich so lauter in Handlungen als in Worten aus. Der zärtliche Dichter, um dessen Leyer Grazien und Amoretten scherzten, zeigte einen hohen, ehrfurchtgebietenden Ernst in Erfüllung und Forderung der Pflicht, einen kühnen Muth, eine unerschütterliche Beharrlichkeit in Behauptung des Rechts und der Wahrheit. Ihr habt die Anlässe nicht vergessen, verehrte Väter! — wenn gleich hier der Ort nicht ist, ihrer bestimmter zu erwähnen — in denen Jakobi unter Euch, und zweymal als akademischer Vorsteher an Eurer Spitze, für jenes, was er als Pflicht und Recht erkannte, mit einer Kraft und Wärme sprach, die seine Gegner in Verwunderung setzte, wie er Aller und Kränklichkeit in solchen ehrenvollen Kämpfen vergaß, und die Drohungen mächtiger Feinde verachtete.

Sollte es wohl eigner Erwähnung bedürfen, daß ein Mann von solcher Rechtlichkeit und Liebe des Rechtes, auch die Freyheit, welche die Bedingung desselben ist, geliebt habe, und daß, wer für jede PFlcht von einem heiligen Feuer brannte, auch von jener fürs Vaterland durchglüht gewesen? — Auch scheint kaum eine besondere Rühmung zu verdienen, dessen Mangel gerechte Schande bringt. Aber in einem Zeitalter weit eingreifender Entartung und sklavischer Wegwerfung, wenn patriotische Gefühle geächtet sind, während Feigheit und Verrath fast für Tugend gelten — da bleibt der Lobpreisung werth, wer sein Gemüth von der Ansteckung frey bewahrt, an der Sache des Vaterlandes nimmer untreu wird und nimmer verzweifelt, durch unerschrockene Aeußerung solcher Gesinnung den Muth anderer aufrecht erhält, und — was auch die Blendwerke, die Lopckungen der Bösen seyen — seinen Geistesblick und sein Herz immerdar und unverwandt nach der einen Sonne der Freyheit und des Rechtes richtet. Politik war sonst Jakobi’s Lieblingsfache nicht. Mit Betrübniß und Unwillen blickte er auf die gewöhnlichen Herrscherkriege, wo meist um kleinliche Interessen des kotbaren Blutes so viel vergossen wird, und auf die diplomatischen Verhandlungen, worin die Stimme der Humanität selten aufkommen mag gegen das Geschrey der Anmaßung und die Ränke der Arglist. Partheylos, so lang er auf beyden Seiten Unrecht wahrnahm, und nur im Allgemeinen Friede und Recht fordernd, hielt er die Stunde für verloren, die er dem Leben seiner schönen Ideenwelt entzogen hätte, um sie unfruchtbaren politischen Debatten zu widmen. Als aber in unsern Tagen um höhere Dinge der Krieg sich erhob, als um das Heiligste für Völker und Menschen gekämpft ward, da ergriff er — unverführt selbst durch den dichterischen Reiz der Neufränkischen Waffengröße und des Napoeonischen Glanzmeteors — mit Innigkeit und Feuer, und hielt mit unverbrüchlicher Treue die Parthey der guten — lange Zeit überwältigten, und erst am Ende siner tage triumphierenden — Sache. Das Meiste, was er in dieser unglücklichen Periode schrieb, trägt den Stempel seiner patriotischen Trauer, seines glühenden Tyrannenhasses, seines ungebeugten freyen Sinnes. Wohl ihm! Er hat den glorreichen Umschwung der Europäischen Verhältnisse erlebt, und sein letztes Lied war ein Triumphgesang der Freyheit! ..

So unvollkommen gezeichnet diese wenigen Züge aus dem Bild des theuren Entschlafenen sind, so mögen sie hinreichen, dasselbe eurem Gemüth zu vergegenwärtigen, akademische Väter und Bürger! — Eure Eigene Erinnerung, Euer liebendes Herz wird das Mangelnde ersetzen! — Nur ein Zug noch — der aber auf alle andern einen erhebenden Schimmer wirft, darf wohl nicht unberührt bleiben. Der Tempel selbst, worin wir diese Trauerfeier begehen, fordert uns auf, desselben zu gedenken. Jakobi war sehr religiös, des kindischen Glaubens voll, ein treuer, feuriger Bekenner der natürlichen und der Christusreligion. Aber er haßte den Sektengeist und die engherzige Introleranz. Sein Geist flog in höhern Sphären, als welche die Polemik erreicht, und als heiligstes Gebot ertönte in seinem Herzen die Liebe. —

Doch nicht nur wer Jakobi gewesen; — auch was er gewirket, fordert heut‘ unsere gerührte und dankbare Betrachtung.

Zwar Menge und Schönheit der Früchte sind es nicht, woraus wir das Verdienst des Pflanzers billig ermessen. Wenn ein furchtbares Erdreich zur Pflege übergeben, ein edler Same vertraut ward, der mag, wenn die Gunst der Jahreszeiten nicht fehlt, ohne Mühe reiche Aerndten gewinnen, während der Andere dort an einen undankbaren Grund fruhtlos Mühe und Kunst verschwendet. Doch wird zur Wartung edler Früchte nur der bessere Arbeiter berufen, und das Maaß ihres Gedeihens macht immer — wenn auch mit Rücksicht auf die Umstände — sein Talent uns seine Treue kund.

Verschiedene Disciplinen — so nützlich, ja selbst unentbehrlioch sie seyen —machen gleichwohl wegen ihrer Trockenheit, oder weil ihr Nutzen — als oft nur mittelbarer —nicht sofort erkannt wird, dem Lehrer äußerst schwer, den Eifer des Zöglings dafür zu entzünden, oder sich liebende und dankbare Schüler zu erzieh’n. Die schönen Wissenschaften, welche jedes unverdorbene Gemüth freundlich ansprechen, nicht um eines gegebenen Zweckes willen, sondern für sich Selber liebenswürdig und genußreich sind, sie, durch welche wie ein neuer Sinn, der edelste von allen in uns aufgeht, und eine neue herrliche Welt vor unserm Geistesblick sich öffnet, sie sind allerdings vorzüglich geeignet, die Seele des Jünglings mit Macht zu ergreifen, und mit Innigkeit dem Lehrer wie der Lehre zuzuwenden. Dagegen wird bey einigen der ernsten Disciplinen zum fruchtbringenden Unterricht eben nicht die höchste Stufe des Wissens erfordert; ja es fällt von derselben oft schwer zur Fassungskraft des Jünglings sich herabzulassen; zum ästhetischen Unterricht aber, damit er gedeihe, ist ächtes Genie für den Lehrer eine unerläßliche Bedingniß. Denn nicht durch Formeln des Gedächtnisses, nicht durch Abstraktionen des Verstandes wird die Schönheit erfaßt; sie will angeschaut und empfunden seyn. Wer nicht ihr Urbild im Innern trägt, wvermag sie nicht darzustellen; und zur Erkenntnis der himmlischen Grazie kann nur derjenige führen, dem sie Selbst in vertrauter Erscheinung sich offenbarte.

Es sind nun 30 Jahre , daß Jakobi auf den Ruf des liberalen Monarchen Joseph II. das öffentliche Lehramt der Aesthetik und Philologie an unserer hohen Schule antrat. Bis dahin war die ästhetische Bildung unserer Jüngline deren eigenem Genius oder dem Zufall überlassen gewesen. Jakobi ward ein noch ungebautes Feld übergeben, welches jedoch eben darum die mit Weisheit ihm zugewandte Pflege mit desto herrlichern Früchten lohnte. Die Schönheit — wohl gabe es Einzelne her, die sie schon früher im Herzen verehrten, sie hatten sie in der Natur und in der Kunst erkannt, so wie in den Werken der Alten — die Schönheit erhellte jetzt — eine plötzliche ätherische Erscheinung — den finstern Hörsaal; ein Priester, der von ihr Selbst die Weihe erhalten, rief freundlich zu ihrem Dienst. Mit Liebe, mit Feuer, mit Entzücken gehorchte man dem Ruf; ein neues Leben erblühte unter den Söhnen der Albertina; und gereifte Männer theilten den Enthusiasmus der akademischen Jugend.

Von dort an in fast unwandelbarer Folge — nur daß in den letzten Zeiten mitunter die Kränklichkeit des Lehrers, mitunter der Kriegslärm den Hörsaal schloß — erfreute sich Jakobi alljährlich eines — nicht immer gleich zahlreichen, da der Zeitgeist unserer Jugend von den Musentempeln in die Lager rief — doch immer eines liebenden Kreises eifriger, für die Wissenschaft wie für den Lehrer begeisterter Schüler. Die Verehrung, für Jakobi pflanzte sich wie eine fromme Ueberlieferung fort. Als zunehmende Krankheit ihm nur seltene Vorlesungen mehr erlaubte, so theilten die Studirenden sich wenigstens seine Hefte mit.Jedem Ankömmling ward sein Name mit Ehrfurcht und Liebe genannt, und Keiner verließ die hohe Schule ohne gerührtes Andenken an Jakobi.

Die Summe des Guten, welches unser theurer Entschlafener in so langer, so treuer und so herrlicher Führung seines Lehramtes wirkte, mögen wir leicht durch allgemeine Würdigung der Aesthetik und ihres Einflusses auf höhere Bildung und Beglückung der Menschen ermessen.

Zwar noch viele sind, welche der Mühe kaum werth achten, den Grazien zu opfern, und die, was nicht auf pekuniären Nutzen, oder auf Fortkommen in der Welt, auf Amtsfertigkeit oder pedantische Gelahrtheit abzweckt, für Tand und Spielwerk halten. — Ihr, akademische Väter, — und auch Ihr, jüngere Freunde des Schönen! Ihr wißt wohl, wie nahe verwandt, wie innig verschwistert dasselbe mit dem Wahren und Guten ist. Ihr wißt, daß in der Liebe des Schönen, und in ihr allein, unsere sinnliche und moralische Natur als in einem freundlichen Vereinigungspunkt zusammentreffen, dergestalt, daß, was die Vernunft nach allgemeinen Gesetzen zu verfolgen gebeut, dasselbe sey, wornach mit eigenem Trieb die Persönlichkeit des sinnlichen Menschen strebet. Ihr erkennt und zeiget, daß der Sinn des Schönen alles Gemeine und Niedrige in dem Gemüthe tilge, und der Neigung, dem Urtheil und dem Handeln eine unwandelbare, in sich selber ruhende Regel gebe. »Aus dem reinen Aether unsrer dämonischen Natur — also sagt der herrliche Schüler — rinnt die Quelle der Schönheit herab, unangesteckt von dem Verderbniß der Geschlechter und Zeiten, welche tief unter ihr in trüben Strudeln sich wälzen.«

Zwar die Schönheit spricht unmittelbar nur die Empfindung an, während der Verstand das Wahre sucht, und die Vernunft nach dem Guten strebt. Aber diese Sonderung ist nur im Begriffe vorhanden, nicht im Wesen der Dinge, und nicht in der Natrur der menschlichen Seele. Nichts Schönes ohne Wahrheit, und keine Schärfung des Sinnes fürs Schöne ohne Gewinn für die Erkenntniß, und ohne Belebung des Triebes nach ihr. So auch keine höhere Schönheit als die Tugend; demnach keine Liebe des Schönen ohne Läuterung des moralischen Gefühls und ohne Stärkung für den sittlichen Trieb. Ja! es ist die Erkenntniß für sich nur ein kalter Begriff, das Gebot der Vernunft für sich nur ein todtes Gesetz; zu Lebendigen Kräften können sie in unserm Gemüth nur durch Vereinbarung mit sinnlichen Trieben werden, also dadurch, daß sie in der Schönheit sich darstellen.

Von diesem Standpunkt betrachtet erscheint die Schönheit als die eigentliche Bildnerin der Menschen; indem Sie allein das Ganze unserer sinnlichen und geistigen Kräfte in harmonische Thätigkeit setzt, das Gleichgewicht unserer leidenden wirkenden Natur herstellt, und die wahre Freyheit, die erste Bedingung des menschlichen Daseins, durch Vereinbarung des objektiven Gebotes mit den subjektiven Trieben gebiert.

Wohl liegt von allem dem der erste Grund nicht in der Aesthetik, sondern in der menschlichen Natur, welche älter als die Wissenschaft und unabhängig von derselben ist. Aber nicht anderst bey der Logik und be< der Moral. Die Gesetze des Denkens, die sittlichen Gebote sind älter, als die Wissenschaft von beyden: gleichwohl ist die letzte, als welche den dunkeln, schwankenden, von sinnlichen Eindrücken oft überwältigten Eingebungen des natürlichen Verstandes und der gemeine Menschenvernunft Deutlichkeit, Zusammenhang und siegenden Nachdruck giebt, wohlthätig, ja unentberhlich.

Nicht nur die Bildung der Menschheit und des einzelnen MEnschen — auch die Glückseligkeit desselben hängt von der Schönheit, demnach von der Aesthetik ab. Die Sinne für sich geben uns keinen Genuß, den wir nicht mit den Thieren theilten; und der abstrahirende Verstand sucht nur die Erkenntniß. Die Aesthetik veredelt die rohe Sinneslust zum wahrhaft menschlichen Genusse, und verwandelt den kalten Begriff in lebendige Anschauung. Die Schönheit besänftiget den Sturm der Affekte, löst den ermüdeden Widerstreit der moralischen und physischen Nöthigung in die ruhige Harmonie eines vollkommen freyen Willens auf, und bringt — um abermal mit unserm Schiller zu reden — die Menschen jenem Zustand des seligen Gleichmuths nahe, welchen die Alten deutungsvoll an den »Ewigzufriedenen« Göttern des Olympus priesen.

Wohl dem, welchem frühe die Schönheit, die himmlische erschien, und abermal demjenigen wohl, welchem gegeben ward, Sterbliche zu ihrem Dienst zu erziehen! —

Aber auf den Raum seines Hörsaals beschränkte sich die Wirksamkeit unsers edlen Freundes nicht. Er war Lehrer des Schönen, demnach des Wahren und Guten, für Alle, die ihm nahe kamen, die seine Worte hörten und seinen Wandel erkannten. Seine häusliche und bürgerlichen Tugenden mochten als praktischer Kommentar seiner mündlichen Lehre gelten; in allen Lagen und Verhältnissen des Lebens war seine edle, humane Weise ein freundliches und einladendes Vorbild. Die Liebenswürdigkeit seiner Sitten zog alle Guten an; aber er bildete sich aus einigen Auserlesenen einen engeren Kreis, dem er inniger verttrauter sich mittheilte, und die ganze Fülle seines Geistes und seines Herzens aufschloß. In solchem Freundesumgang fand Jakobi selbst einen edlen Genuß, fruchtbringenden Ideenwechsel, mannigfaltige Nahrung für seine Phantasie und sein Gefühl. Diejenigen aber, die sich also im traulichen Zweygespräch, oder im größern Zirkel an den Strahlen seines Geistes wärmten, empfanden die ganze wohlthätige Macht seiner sokratischen Weisheit und Liebe. Sein Umgang wie sein Beispiel war nicht minder eine Schule der Urbanität, des attischen Witzes, der sanft fließenden Rede, als der sittlichen Grazie, des feinen Gefühles und der ernsten Weisheit und Tugend. Man hörte oder sah ihn nie, ohne geistigen oder moralischen Gewinn, und fühlte sich glücklicher und besser so oft man ihn verließ.

Was Jakobi im nähern Kreis durch Wort und Beyspiel wirkte, das, und noch mehr that er in weiterer Sphäre als Schriftsteller durch die klassischen Schlöpfungen seiner freundlichen Muse. Als er zu uns kam, um die Zierde unsers wissenschaftlichen Gemeinwesens zu seyn, da rechnete Teutschland ihn schon mit Stolz unter die schönsten und edelsten Geister, die seinen Parnaß verherrlichten; auch hat er seitdem diesen Ruhm nicht nur fortwährend behauptet, sondern gerechtest vermehrt. Schon die seltene Korrektheit, Zartheit und Melodie seiner prosaischen Aufsätze sowohl als seiner Poesien, wodurch er zur Reinigung und Verschönerung der vaterländischen Sprache, so wie zur Verbreitung des guten Geschmackes nicht wenig beytrug, würden hinreichen, seinen Namen zu verewigen. Aber ein weit edleres Verdienst, und welches die Herzen seiner Zeitgenossen, ja der fühlenden Menschen aller folgenden Geschlechter anspricht, liegt in dem Geist der Liebe, der Humanität, und der reinsten Tugend, der in allen seinen Schriften weht, und wie ein linder Frühlingshauch aus ihnen wärmend und stärkend in die Tiefen des Gemüthes dringt. Keiner seiner Gesänge, keiner seiner prosaischen Aufsätze — sey Ton oder Gegenstand ernst oder launig, trauernd oder froh — der nicht eine schöne Empfindung, eine erhebende Ansicht, eine zum Guten führende Betrachtung enthielte und erweckte, und so wie es unmöglich war, seines persönlichen Umganges zu genießen, ohne besser zu werden, also lioegt in seinem Schriften ein freundlicher Zauber, der uns froher und tugendhafter macht. —

Wenn Jakobi im Gemüth seiner Zöglinge das Gute aufkommen, sie an Veredlung des Geistes und Herzens täglich zunehmen sah, wenn, im Kreis seiner Freunde, die von ihm verehrte Charis immer reinere und allgemeinere Huldigungen empfeing, wenn die Ahndung seines eigenen Herzens und tausend Stimmen von nah‘ und fern ihm verkündeten, welch‘ reiche Saat schöner Gedanken und Gefühle seinen Schriftwerken in einer Welt von Lesern entblühe — dann durchdrang sein Innerstes eine unaussprechliche, himmlische Freude, dann genoß er den würdigen Lohn seiner Arbeit und seiner Tugend. Wenn aber jetz vor dem Aug‘ des Verklärten, das frey durch den Raum und die Zeiten blickt, das ganze Feld seiner Aussaat in ungeahndeter Größe und Schönheit sich öffnet, wenn er eine Unermeßlichkeit des Guten allda keinen, blühen, zu Früchten reifen und, durch weitere Mittheilung und erneute Aussaat sich fortsetzend, in immer reichern und reichern Aerndten sich wiederholen sieht, wenn er sieht, wie sein Name geliebt und verehrt von Geschlecht zu Geschlecht geht, aus seinen Gesängen Freude und Liebe in die Herzen einer späten Enkelwelt sich ergeißen — dann ist zur Vollendung gekommen, wovon wohl hienieden schon, in Stunden hoher Begeisterung, das Vorgefühl seine Seele entzückte, und was den Erleuchteten und Edelsten der Menschen als Preis ihrer Lebensmühe in beseligender Ahndung verschwebt.

Theure Kollegen und Freunde! bey dieser Idee laßt uns weilen! auf daß wir die Feyer dieser Stunde nicht bloß durch wehmütige Trauer, sondern durch eine erhebende und fruchtbringende Entschließung begehen! — Die Sehnsucht, fortzuleben in unsern Werken und in dem Gedächtniß der Guten, ist der edelste Trieb im Menschen und der das Größte was von Menschen ausging, gezeugt hat. Laßt uns — auch euch, meine Jüngern Freunde und Jakobi’s Schüler fordere ich auf zu diesem Gelübde — laßt uns an dem Sarge des unsterblichen Sängers geloben, jeder in seinem Kreise und nach Kräften dahin zu streben, daß er scheidend etwas zurücklasse, welches die Menschheit als ein wohlthätiges Vermächtniß anerkenne, und dessen der entfesselte Geist noch über den Sternen sich freue! —