Skip to main contentSkip to page footer

Villers Brief an die Gräfinn Fanny von Beauharnois enthaltend eine Nachricht von den Begebenheiten, die zu Lübeck an dem Tage, Donnerstag den 6ten November 1806 und folgenden vorgefallen sind

Erster Teil.

Madame!

Das mich rührende Andenken, mit dem Sie die Güte gehabt haben, mich zu beehren, ist gerade in einem derjenigen Augenblicke des Lebens an mich gelangt, wo man am meisten Bedürfniß fühlt, erfahrene Betrübniß, von edlen und zärtlichen Seelen getheilt, zu erblicken; wo die Empfindung der Ungerechtigkeiten, die man seiht, ohne ihrem Laufe Einhalt thun zu können, die Seele noch bereitwilliger macht, Alles was gerecht und gut ist, zu schätzen; wo endlich das Schauspiel der Unmenschlichkeit, das von edlen und menschlichen Herzen gefühlte Mitleid uns noch süßer macht. Ich bin Ihnen, Madame, diese Art wahres Trostes schuldig. Eines der lachendsten Bilder, die ich mit mir aus Paris nach meiner Einsamkeit zurückgebracht hatte, war die Aufnahme von Anmuth und Güte, die Sie mir dort wiederfahren zu lassen mich gewürdigt. Sie war häufig die Beschäftigung meiner Gedanken; oft unterhielt ich meine verehrte Reisegefährtinn, Madame R*** davon; sie, die ihrerseits auch niemals ohne Rührung und Erkenntlichkeit daran zurückdenkt. Wenn wir Paris noch einmal wieder zu besuchen wünschten, so war es hauptsächlich, um noch einst dieser schmeichelhaften Aufnahme, und jenes seltenen Vereins in Ihren, aller Talente des Geistes mit dem auserlesensten Wohlwollen, uns zu erfreuen, und dieser Freude ein zweytes Mal, wo möglich, noch lebhafter zu genießen.

Ach! weit entfernt waren wir vorherzusehen, daß diesem uns in der Zukunft so reizend entgegegegn scheinenden Augenblicke, hier Tage der Trauer und des Schreckens vorangehen sollten. Sie wünschen, Madame, die Begebenheiten, die uns diese Tage unvergeßlich gemacht haben, näher kennen zu lernen; und ich will es versuchenm Ihnen zu gehorchen. — Der bescheidne Nahme: Lübeck, erinnerte bisher an nichts als an einen ziemlich unbekannten Winkel der Erde, in welchem friedlicher Fleiß und die Handlung, ruhigen Wohlstand und Glück den Einwohnern desselben sicherte. Ehedem die Hauptstadt der blühenden teutonischen Hanse, die sich von Rhein bis nach Novograd erstreckte, war diese Kaufleuterepublik im Norden mächtig gewesen, und hatte mehr als Einem regierenden Herrn Gesetze vorgechrieben. Seit verschiedenen Jahrhunderten indeß schon, genoß sie dieses Glanzes nicht mehr. Lübeck war in der Erstaunen erregenden Geschichte unsers Zeitalters, so gut wie vergessen, als der unvorhergesehenste Zufall in seine Mauern einige der großen Schauspieler führte, welche jetzt die Bühne der Welt einnehmen; es ist plötzlich zum Schauplatze eines blutigen Trauerspiels geworden, das ihm in seinem Inneren Unglücksfälle mehrerer Art zurückgelassen, und auswärtig zu der traurigen Berühmtheit eines Mißgeschickes ohne Gleichen verholfen hat.

Das Elend, Madame, zeigt sich für den Menschen unter so vielen verschiednen Gestalten, daß, um das ganze niederbeugende Gewicht desjenigen, was wir hier erfahren haben, zu erkennen, keiner der moralischen Umstände aus dem Gesichte verlohren werden darf, die es begleiteten. Ein verdientes oder wenigstens vorhergesehenes Unglück; ein, dem Laufe der menschlichen Dinge zufolge, unvermeidliches, kömmt uns stets weniger schmerzlich zu ertragen vor; da hingegen eines, das weder verdient noch vorhergesehen worden ist; eines, das aus einem trauervollen Mißgriffe des Schicksals herrührt, und jedes beleidigende Kennzeichen der Ungerechtigkeit an sich trägt, Niedergeschmettertheit und Verzweiflung hervorbringt, und uns tödliche Wunden schlägt. Wenn man jenes einen Pfeil nennen kann, der uns verletzt, und uns vielleicht tödtet, so ist dieß von der zweyten Art mit einem vergifteten zu vergleichen, durch den, auch nur geritzt, wir Verwüstung und Angst durch unser ganzes Wesen verbreitet sehn. Der Tod eines Helden auf dem Schlachtfelde ist eine ruhmvolle Begebenheit, und kann bisweilen beynahe ein Triumphfet seyn; die Ermordung eines friedlichen Mannes, der sich unversehens unter seinem Dache erwürgt sieht, bleibt aber stets eine empörende Handlung, über die die ganze Menschheit trauern muß. Wenn irgendwo eine über das Interesse des Vaterlandes waltende Regierung die Aufrufglocke hat ertönen lassen, wenn sie ns vom Zustande des Kreiges benachrichtiget hat, in den wir mit dieser oder jener feindlichen Nation treten werden, so macht sich der Soldat und der Bürger bereits auf die Zufälle gefaßt, die von ihm befürchtet werden können. Es bildet sich alsdann in allen Seelen eine Empfindung von Muth und Resignation, wobey, da sie sich auf die Liebe zum Vaterlande und die Nothwendigkeit, die gemeinschaftliche Sache zu unterstützen, gründet, Jeder sich an seinem Platze befindet, und Alles erwartet, was sich ereignen mag. Erfährt man etwas Widriges, wird eine Stadt erobert und streng vom Sieger behandelt: so bewaffnet sich ihr Einwohner mit Kraft; und er trägt ein Unglück, das in dem Laufe seines Geschickes lag. Aber, wenn man sich, zufolge des Rechts der Nationen, wenn man sich kraft der bestimmtesten Versicherungen, der Neutralität und des Friedens gewiß glaubt, und sich alsdann plötzlich getroffen fühlt; wenn die uns schlagende Hand gerade diejenige ist, die wir am meisten für Freundeshand hielten — dann, o! alsdann wird jeder Muth, jede Resignation unmöglich; das Schrecken, das diese entsetzliche Ueberraschung hervorbringt, vernichtet alle Seelenvermögen; und das Waffengetümmel selbst scheint minder furchtbar, als der moralische Anblick einer solchen Begebenheit. »Schwärzt« (sagt irgendwo der deutsche Dichter Schiller) »sich der Himmel mit aufgehäuften Wolken; erschallen die Schläge des Donners von allen Seiten: so fühlen die Sterblichen sich der unentfliehbaren Macht des Schicksals unterworfen. Aber, wenn der herabstürzende Blitz aus einem heitern Himmel auf uns fährt, welche Seele kann alsdann wohl auf den Schmerz genugsam vorbereitet seyn?«

So war die Lage Lübecks vor den ersten Tagen des letztvergangenen Novembers. Diese Stadt führt den Handel der Ostsee für Frankreich und einige von dessen Verbündeten, als Spanien und Italien. Sie führt ihn vortheilhaft für die französischen Plätze, und Rouen, Nantes, Bourdeaux, Bayonne, Cette, Lyon wissen, von welchem Nutzen für ihre Geschäfte im Norden die Lübeckischen Comtoire sind; sie wissen, welche Rechtlichkeit und Schnelle Achtsamkeit hier herrschen. Aus diesen und andern Gründen hat der Kaiser diese Stadt immer begünstigt und sie seines Schutzes versichert.

Damals, als dieser letzte, für Frankreich so glorienvoll, für die Feinde desselben so verderblich gewordene Krieg sich entzündete, konnte Niemand vorhersehen, daß seine Flamme sich bis nach Lübecks friedlichen Mauern verbreiten würde. Ein bloßer Blick schon auf die Karte entfernte alle Gedanken daran. Sonder Zweifel konnte man erwarten, die preußische Armee dürfte geschlagen werden; allein jede Wahrscheinlichkeit ließ vermuthen, sie würde alsdenn ihren Zurückzug nach Osten hin, gegen Magdeburg, Berlin und die festen Plätze an der Oder zu nehmen. Was auch sich ereignen möchte, schien Lübeck doch außerhalb jeder möglichen strategischen Bahn zu liegen. Nichts konnte die französischen Truppen nach dem Norden hin bringen, als etwa ein Mißverständniß mit Dännemark; allein die hohe Weisheit des vortrefflichen Fürsten, der längst dort für die Sicherheit und das Glück seines Landes wacht, ließ in dieser Hinsicht nichts zu besorgen übrig. Da ich in Lübeck die ersten Triumphe unserer großen Armee, den zu Jena erfochtenen merkwürdigen Sieg des 14ten Octobers und die Niederlage der preussischen Armee erfuhr, stieg in mir nicht die geringste Unruhe für das Schicksal der guten Stadt, in der ich wohne, auf; und die ich so bald, so unversehens vom Wetterstrahle gerührt zu sehen, bestimmt gewesen bin.

Und wer hätte auch wohl — in der That! — die unbegreifliche Zerstreuung dieses preußischen Heeres vorhersehen sollen; das durch die kunstvolle Tactik des Kaisers von allen Seiten abgeschnitten und umzingelt wurde? Die französische Armee war bereits in Berlin, als eine große Anzahl preussischer Detaschements, einige aus weniger Mannschaft, andre aus einigen zerstreuten, umherirrenden, in ihrer Karte verwilderten, nicht: wo sie sich hinwenden sollten? Wissenden Regimentern bestehend, sich im Rücken der Franzosen, und ohne Hülfe von ihrem Könige und den Ueberbleibseln ihrer Monarchie entfernt befanden. Verschiedene derselben legten in dieser kritischen Lage, die Waffen nieder, und übergaben sich schwächern französischen Corps, als sie selber waren. Andre das Land durchziehend, vereinigten sich mit auch umherirrenden Theilchen ihrer Armee, denen der Zufall sie begegnen ließ, backten wie eine Lavine zusammen, und bildeten wieder ein kleines Heer von fünf und zwanzig, Andre sagen, drysig tausend Mann, unter Anführung des Generals Blücher, der vor dem Kriege ein Commando in Westphalen geführt hatte.

Dieses nicht geringe Corps, bey dem noch sechstausend Mann Cavallerie waren, hätte sich nach der Oder hin Luft machen, und sie erreichen sollen. Es wurde anfangs blos von dem ersten Corps der großen Armee verfolgt; welches nur aus zwölfausend Mann bestand, und beynahe gar keine Reiterey, aber an seiner Spitze den Prinzen von Ponte-Corvo hatte, welcher mit dem preussischen Generale gewissermaßen nur ein Spiel trieb.

Bis zum dreysigsten, letzten October, operirte dieses Corps auf preussischem Gebiete. Um diese Zeit warf es sich auf die Provinz Uckermark, und in das Herzogthum Mecklenburg, ein neutrales Ländchen, hinein, das es auf jede Weise verheerte. Es durcheilte dieses unglückliche Land, das indeß doch mehr als zwanzig Meilen in die Länge hält, in sechs Tagen; die vollkommen zureichten, es zu veröden; und der Nachtrab der Preußen wurde nicht weniger als sechsmal darin geschlagen. Der Großherzog von Berg, mit seinem Cavalleriecorps, Marschall Soult, hatten sich in dieser Zwischenfrist mit dem Prinzen von Ponte-Corvo vereinigt. Den fünften November verletzten die Preußen Lübecks Gebiet; brachen die Thore der Stadt auf, verschanzten sich darinn; wurden den 6ten durch die Franzosen daraus vertrieben; und capitulirten den Tag darauf, den 7ten November, eine Meile weit hinter unserer Stadt.

Sie sehen Madame, daß es mit dieser Operation schnell, so wie mit allen hergegangen ist, die unter dem Einflusse des Genius von Napoléon ausgeführt werden. Ich will hierüber mich nicht weitläufiger verbreiten. Sie verlangen von mir nicht die Geschichte der kriegerischen Begebenheiten, sondern die meinige, die so vieler Unglücklichen, von deren Leiden ich Augenzeuge gewesen bin. Ihre mitleidende Seele soll sie erfahren, und die Darstellung derselben wird sie sonder Zweifel mit Wehmuth erfüllen. Erlauben Sie, daß ich was die andern Umstände betrifft, Sie auf die hier gedruckte und mit meinem Plane, (von dem ich diesem Briefe ein Exemplar beizulegen die Ehre habe,) begleitete Nachricht über das Gefecht bey Lübeck , verweise.

Seitdem ich aus den Journalen die völlige Zerstreuung der preussischen Armee und den unregelmäßigen Marsch so vieler ohne Zweck fliehenden Regimenter erfahren, hatte ich beretis angefangen, zu fürchten, daß wohl einige derselben sich bis hierher verirren möchten. Allein ich dachte, daß kämen sie in geringer Zahl an, man ihnen wohl Widerstand zu leisten im Stande seyn dürfte. Die ersten Tage des Novembers brachten uns nur ungewisse und widersprechende Gerüchte zu. Aus Mecklenburg Ausgewanderte, die sich nach Hollstein begaben, erzählten uns, ein preussisches Corps durchstreife, von einem französischen verfolgt, ihr Land; aber man gab diese preussische Armee nur für eine schwache Division aus; und glaubte: daß auch der Franzosen nur wenige wären.Uns war sie sogar bis auf den Namen ihrer Anführer unbekannt; jeden Augenblick hofften wir, zu erfahren, daß die Preussen die Waffen niedergelegt haben würden; und dieß um so viel mehr, da uns täglich Ereignisse ähnlicher Art zu Ohren gelangten. Wir bildeten uns ein, man würde ein kleines neutrales Gebiet in Ehren halten, bei dem das Gegentheil zu thun, keinen Zweck haben konnte; und eine unabhängige Handelsstadt, die mit diesem Völkerzwiste nichts zu schaffen hätte, nicht mit in das Kriegsunglück verwickeln wollen. Ich selbst dachte das; und bestärkte mich in diesem Glauben um so viel mehr, da sich immer dem Geist nur das, was das Geradeste und Vernünftigste ist, zuerst aufzudrängen pflegt. Man müßte unterdessen freylich wohl wissen, wie diese Art von den menschlichen Dingen zu urtheilen, fast immer täuscht und irre führt.

Wirklich war auch der General Blücher mehr als Einmal aufgefordert worden, sich zu ergeben, zu capituliren, seinen Soldaten so viele Strapatzen und unnütze Gefahren, und den bedauernswürdigen Einwohnern des Landes, so viel Unglück zu erspraren. Indeß hatte er jedesmal zur Antwort gegeben: er würde sich nicht zum Ziel legen, so lange nur noch ein Tropfen Blutes in seinen Adern flösse. Endlich haben wir, Mittwochens, (den 5ten November,) Morgens, plötzlich an dem Thore, das nach der Seite von Mecklenburg hinausgeht, einige Detaschements der preussischen Cavallerie, nebst einer Menge mit Verwundeten, Kranken und Todten angefüllten Wagen anlangen; sie waren sämmtlich in einem erbarmungswürdigen Zustande, abgemergelt, mit Lunpen bedeckt, und wollten vor Hunger und Durst umkommen. Ihre Nachrichten bestätigten uns in der Ueberzeugung: das preussische Corps, zu dem sie gehörten, können keinen weiteren Widerstand thun; und würde in den mecklenburgischen Ebenen capituliren. Ziemlich in der Ferne vernahmen wir Kanonendonner; und erwarteten unangenehmes Neues zu hören; unterdeß war unsre Unruhe doch nur noch unbestimmt; immer konnten wir uns nicht von der Möglichkeit überzeugen, daß unsre Stadt Gefahr dabey laufen könnte. Abends um 5 Uhr aber erschien das ganze Corps des Generals Blücher vor unsern Wällen und Stadtthoren. Vergebens widersetzte sich der Senat; ließ Protestaionen ergehen, machte Einwendungen, bat, flehte; umsonst berief er sich auf Neutralität; und suchte sich mit dem Schilde der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu decken: der preussische Herrführer verachtete diese einzige Schutzwehr der Schwachen, und drang mit seinem Heere in die Stadt. Der Anblick der fremden Truppen verbreitete überall ängstliche Bestürzung. Seit mehreren Jahrhunderten war unsre friedliche Stadt durch keinen Anblick von Kriegswesen erschreckt worden. Jetzt sah sie sich plötzlich mit Waffen und Soldaten angefüllt. Es mußten wohl, so ungern man es auch geschehen ließ, diese unglückbringenden Gäste beherbergt werden; wobey es denn sehr unordentlich, sowohl wegen der einbrechenden Nacht, als wegen der Unerfahrenheit und Unbekanntschaft der Einwohner mit dergleichen Veranstaltungen, herging. Ich muß unterdeß doch sagen, daß die Preussen, so abgemattet wie sei auch waren, gleichwohl keine Ausschweifung begingen; und eine sehr genaue Kriegszucht beobachteten. — In dem Hause, in dem ich mich befand, war ein Capitain, der ein sehr rechtschaffener Mann war, einquartiert; er versicherte uns beym Abendessen. Daß preußische Heer würde mit Tagesanbruch die Stadt wieder räumen, um die französische Armee in der Ebene zu erwarten, und seinen Zug hiermit endigen, weil man denn doch nicht weiter hinaus wüßte. Der gute Hauptmann täuschte sich selbst, oder uns. Folgendes waren die Dispositionen, die zu derselben Zeit sein General machte:

Lübeck liegt auf dem rechten Ufer der Trave, und hat von dieser Seite drey Thore, die nach dem Lande zu hinaus gehen. Von der vierten führt noch eines mit einer Brücke auf das linke Ufer der Trave, und nach dem Hollsternschen zu. Herr von Blücher ließ die ersten dreye mit einer furchtbaren Artillerie besetzen, und stellte vor jedes davon Posten aus. Sein übriger Haufe zog über die Brücke des vierten Thors, um die ganze Trave zu besetzen, und das Städtchen Travemünde, am Ausflusse unseres kleinen Stroms in die Ostsee, zwey Meilen weit von Lübeck, zu behaupten. In dieser Stellung beschloß er,die französische Armee zu erwarten.

Unglücklicherweise bot ihm die Stadt einige Vertheidigungsmittel dar: und hatte noch einen zu großen Theil ihrer alten Wälle erhalten. Von den ehemals sehr kräftigen Lübeckern waren diese Befestigungswerke zu einer Zeit angelegt worden, wo eine Menge winziger Mächte in ihrer Nachbarschaft, die kleine Heere unterhielten, in kleinem Kriege mit einander begriffen zu seyn pflegten; Streitigkeitn an denen die Stadt selbst damals Theil nehmen konnte, und während derer ihre Gräben und Zugbrücken sie gegen geringe, das Land umher verheerende, Parteyen sicherte. Aber seitdem die großen Mächte Kriegsheere von mehreren hunderttausend Mann auf den Beinen halten, und den Schwachen kein Vertheidigunsmittel mehr als ihre Schwäche selbst übrig geblieben ist, gebeut jede Betrachtung, allen diesen Trümmern einer nicht mehr vorhandenen Zeit zu entsagen; und sich in dasjenige zu fügen, was die gegenwärtigen Umstände so rathsam als nothwendig machen. Allein dieß ist nun einmal Etwas, wozu man in den hiebevor Reichs-Städten, in denen man in vielen Stücken immer zeimlich weit hinter seinem Jahrhunderte zurückbleibt, sehr viele Mühe sich zu entschließen hat. — Endlich unterdeß — war man auch in Lübeck einig geworden, seine Artillerie fortzuschaffen, die Brustwehren wenigstens und die außerhalb der Stadt hinausgehenden Schanzen abzutragen; und Gott sey Dank dafür! Hätten die Preussen unsre Werke noch in ihrem alten Zustande gefunden; so würden sievermittelst derselben sich ein acht bis vierzehn Tage haben halten können; das Schicksal der Einwohner wäre noch trauriger geworden; und sie hätten vielleicht durch ein Bombardement ihre Häuser, ire Vorrathsspeicher, und die Schiffe, womit ihr Fluß bedeckt war, in Feueraufgehen sehen.

Unterdessen negotiirte der zusammengekommene Rath mit dem preussischen Generale; beschwor ihn, seine Truppen zu entfernen, der Stadt zu schonen, und sie nicht den Schrecknissen einer gewaltsamen Einnahme auszusetzen. Er verlangte eine Deuputation nach dem Hauptquartiere der französischen Armee schicken zu dürfen; denn von dem Augenblicke an, wo sich die PReussen der Thore bemächtigt hatten, wurde von ihnen niemand ohne besondere Bewilligung durchgelassen. Auf alle diese Vorstellungen aber gab General Blücher nur unbestimmte Versprechungen; immer unter beständiger Betheuerung: er wolle der Stadt keine Gefahr zuziehen; er denke keineswegs daran, sich in ihr zu vertheidigen; er habe vor, einen Parlementair abzuschicken, und würde die Abgeordneten des Senates herauslassen, so bald nur seine militairischen Veranstaltungen es ihm erlaubten, eine Communication der Stadt nach aussen zu zu eröffnen. Dieser Augenblick aber kam nie; und es wurde der stets in den Wagen zu steigen bereiten Deputation nicht freygelassen, sich aus der Stadt zu verfügen. In der Zwischenzeit ließ Herr von Blücher Lebensmittel für seine Truppen requiriren, und kündigte gleichfalls an, er würde nächstfolgenden Tag auch eine Brandschatzung an Geld ausschreiben. In dieser Angst und in diesem Zustande dumpfen Schreckens, brachten wir diese Nacht, vom fünften bis zum sechsten November, zu.

Den folgenden Morgen, Donnerstags den 6ten, hörten wir vor den drey Thoren der Stadt, auf der ganzen rechten Seite der Trave, canoniren. Es waren die drey französischen Corps; sie griffen schon die preussischen Vorposten an und drängten sie zurück. Diese warfen sich in Unordnung auf die sich mit Flüchtlingen und Verwundeten anfüllende Stadt. Der Anblick so vieler verstümmelten, von Blute triefenden Menschen, die alle Straßen durchrannten und in die Häuse drangen, war fürchterlich, und verdoppelte das allgemeine Schrecken. Das ununterbrochen fortdauernde Schießen aus dem groben Geschütz, und das Musketen-Lauffeuer, näherte sich von allen Seiten, drängte sich zusammen, und wurde lebhafter. Canonen- und Haubitzenkugeln flogen umher, und fingen schon an über die Stadt wegzupfeifen, in verschiedene Quartiere derselben fielen sogar schon welche. Dank sey dem edlen Prinzen von Ponte-Corvo dafür gesagt, daß das Uebel von der Seite, wo sein Angriff geschah, weniger groß war. Im entscheidendsten Augenblicke, wo seine zahlreichen Haubitzen bereits unter das Cartätschenfeuer der preussischen Batterien gelangt, anfingen auf die Stadt zu spielen, eilte er mit ausgestreckten Degen, vom schönen Gefühle der Menschlichkeit ergriffen, auf die vordersten Stücke zu, und rief dem wakkern General Eblee, dem Commandanten der Artillerie, entgegen: »Werfen Sie keine Haubitzen in die Stadt, wir werden an unsern Kanonen genug haben, über die Preussen Herr zu werden.« — An solchen Zügen, Madame, erkennt man in dem Menschen das Bild des höchsten Wesens, seines Schöpfers, und die Vorsehung, scheint solche Aeußerungen der Menschlichkeit vor unsern Augen leuchten zu lassen, damit wir nicht bey gewissen Gelegenheiten versucht werden mögen, gänzlich an unserm grausamen Geschlechte zu verzweifeln.

Dieß trug sich gegen Mittag zu. Das Gemetzel an den Thoren der Stadt war schrecklich; die PReussen leisteten hartnäckigen Widerstand; der Angriff der Franzosen war von einer Bravour, die an Verwegenheit gränzt. Man sagt: Herr von Blücher habe den Befehl ertheilt, die nah an den Thoren gelegenen Häuser in Brand zu stecken, um die Fortschritte der Sieger aufzuhalten; man sagt: er habe seinen Soldaten die Plünderung der Stadt verheißen, wenn sie glücklich in ihrer Vertheidigung seyn würden. Ich verbürge diese Gerüchte indesß nicht; aber das weiß ich: daß nur eines Gesetzbuches von Beduinen würdige Kriegsrechte dem Soldaten unbegränztes Recht über Das, was der mit der Schärfe seines Schwertes vertheidigt oder erobert hat, beylegen können. So viel bin ich im Stande als Augenzeuge zu bewahrheiten, daß die Hauptstraßen der Stadt entlang, die preussischen Jäger sich zu vier und vier Mann in die Häuser einer einzigen Seite vertheilten, um nicht während des Gefechts die Einen auf die Andern zu schießen; und daß die Officiere ihnefohlen, sich darinn zu versammeln, und durch die Thüre und Fenster auf die Belagerer zu feuern. — So behandelte also der preussische General diese Stadt, die er zu schonen versprochen hatte; und rief das Gemetzel bis in die Häuser selbst herein. Warum schickte er dann in diesem Augenblicke nicht wenigstens einen Parlamentair zu capituliren aus; da er sehr wohl vorhersah, er würde, (auf der einen Seite mit den Rücken an die See und auf der andern an die dänische Gränze gedrängt, an welcher Truppen ihn zurücktreiben in Bereitschaft standen,) es doch den folgenden Tag darauf zu thun genöthiget seyn?

Es ist hier wohl sehr natürlich, die Frage zu thun: warum dieser Feldherr, wenn er das Recht gehabt hätte, ein neutrales Gebiet zu verletzen, auf seiner Flucht nicht noch bis über die Gränze Dännemarks hinaus gerückt sey? — »Weil,« sagte er freylich in seinem Rapport, »dieß unserm Interesse zuwider hätte laufen können!« — Freylich ist Herr v. Blücher ein Mann von Ehre; dieß aber sind die gewöhnlichen Grundsätze beym sogenannten Kriegsrechte! Ich gestehe, daß in den Augen eines Soldaten, denen weiter nichts als ihre Kriegerpflicht gilt, der preussische General zu entschuldigen gewesen wäre, wenn er aus der Vertheidigung von Lübeck irgend einen beträchtlichen Vortheil ziehen, wenn er auch nur einige Zeit in der Stadt sich halten, und seine Niederlage eine beträchtlich Weile hindurch hätte hinausschieben können. Allein kaum hat er dieß auf einige Stunden zu thun vermocht, und am Morgen des Tages darauf, beynahe Angesichts dieser unglücklichen Stadt capitulirt. Selbst in seinem officiellen Rapport giebt er die Zeit, die er sich darin hätte halten können, nur zu zwey Tagen an! Welh ein schmählich geringer Vortheil also, um eine so große Ungerechtigkeit, und auf die solche Trübsal nachfolgen müßte, erkauft! Niemand wahrlich schätzt mehr als ich den Ruhm, der mit dem Beschwerlichkeiten des Kreiges verknüpft ist, und den edlen Muth, der sich den Waffen weiht. Mein Herz ward lange Zeit davon entflammt. Groß und schön ist es, sich selbst, seine Neigungen, das eigene Leben einer Pflicht zum Opfer darzubringen, einer Verbindlichkeit gegen das Vaterland oder den Fürsten, der es vertritt. Nichts ehrenvolleres, ohne Zweifel, als wacker zu kämpfen für eine gerechte Sache, oder wenigstens die man dafür hält. Aber diese so edelmüthige, der Achtung so würdige kriegerische Tugend, darf nicht die Seele, welche sie durchdringt und befestiget, wild machen. Es giebt doch wohl keinen Beruf auf Erden, der uns ganz vergessen lassen müsse, daß wir Menschen sind, und wenn Soldaten anders denken, so möchte ich wohl mit unserm Dichter ausrufen:

Je rends graces aux Dieux de n’être plus Romain
Pour conserver encore quelque chose d’humain!

Corneille

Stellen Sie sich unterdessen, Madame, den Zustand des dumpfen Erstaunens vor, der sich der ganzen Stadt und der Einwohner in ihren Häusern bemeisterte! Das Getümmel des Gefechts vor den Thoren, die in der Luft zerplatzenden Haubitzen, die immer zunehmende Zahl der Verwunddeten, das in den Straßen fließende Blut; Truppenhaufen, die von einem Orte zum andern jagten — welch ein Gemisch! Jetzt fingen endlich die Einwohner, von Entsetzen ergriffen, aus unwillkührlicher Bewegung an, so viel sie es konnten, (denn die preussischen Jäger widersetzten sich ihnen darin) ihre Thüren und ihre Fensterladen zu verschließen. Ich begab mich in das Haus meines neben mir wohnenden verehrten Freundes, des Herrn Bürgermeister R***, nachdem ich die ziemlich haltbare Thüre meiner Wohnung hatte verschließen lassen. Herr R*** war im Rathe, der Tag und Nacht, beysammen zu bleiben beschlossen hatte, und es auch von da an beständig blieb. Madamm R*** und ihre drey Kinder befanden sich in äußersten Schrecken. Ich suchte sie nach besten Kräften zu beruhigen, bat sie, in ein entferntes Zimmer des Hauses sich zu begeben, und ließ mit Hülfe der Bedeinten und zweyer sich bey uns befindenden Arbeitsleuten, große Wasserwannen, nebst allen im Hause vorhandenen Eimern auf die Diele setzen, im Fall irgendwo etwa Brand auskäme. Bald darauf wurde das, dem R***schen Hause nahe liegende, Burgthor durch das Corps des Marschalls Prinzen Bernadotte gesprengt. PReussen und Franzosen drangen im Gewirr und mit einander im Handgemeng, in die Stadt. In der Straße vor unserm Hause begann hierauf das erbitterste Gefecht, oder vielmehr Gemetzel. Die Streiter waren einander so nahe, daß sie im Schießen sich beynahe das Gewehr auf die Brust hielten. Die ziemlich tiefen Eingänge der Dielen, die Läden, die Keller, alle Einschnitte in den Häusern gaben den Angreifenden und ihrem sich immer im Zurückziehen schlagenden Feinde Schutzwinkel her, aus denen sie bedeckt herausfeuern konnten. Einmal war schon dieses ganze Mordgetümmel vor uns vorbey gezogen, und die Franzosen bis in den Mittelpunkt der Stadt gedrungen; ein Angriff von Reiterey treibt sie wieder zurück, und erneuert unter unsern Fenstern diese schreckliche Scene. Endlich sollte es eben zu einem dritten Angriffe kommen, als die mit Heereskraft anlangenden französischen Bataillone, diesen letzten Widerstand der Preussen zurückdrängten.

In den übrigen Theile der Stadt war das Handgemeng gleichfalls mörderisch, und dauerte ziemlich lange; es hörte nicht eher auf, als wie Alles , was sich von Preussen nur noch in der Stadt befand, todt oder gefangen oder in die Flucht getrieben war. Man schlug sich im Innersten der Häuser sogar; in denen unsere Landsleute die preussischen Scharfschützen bis in die entlegensten Winkel, und selbst auf die Dächer hinauf verfolgten. Verschiedene Einwohner der Stadt sind während dieses Gefechts getödtet worden. Unter sie zählt man besonders einen in allgemeiner Verehrung stehenden Mann, den Bürgerprediger Herrn Stolterfoht, dessen Verlust allgemeine Trauer erweckt hat;es war ein sehr interessanter junger Mann, und er ward (was auch noch manchen Andern widerfuhr) mitten unter seiner Familie vom Todesschlage ereilt. Selbst in unserer Nachbarschaft kamen drey Personen auf solche Weise um’s Leben. Verschiedene Kugeln schmetterten die Fenster des Saals ein, in dem der versammelte Senat mt Standhaftigkeit den Ausgang der Begebenheit erwartete; eine dieserKugeln fiel, nachdem sie an der Wand angeschlagen, zu Herrn R***s Füßen nieder. Sie können sich vorstellen, Madame, in welcher Lage er und seine Collegen sich hier befanden; die von Allem, was ihnen theuer war, getrennt, nichts von dem wußten, was in ihren Häusern vorging, und an ihrem Posten, durch die Stimme der Pflicht und ihrer Ergebenheit an ihr Vaterland, zurückgehalten wurden.

Als das Feuern in der Stadt endlich aufgehört hatte, und die Franzosen ganz und gar Herren sich darin sahen, (dieß geschah umgefähr um drey Uhr) so glaubten nunmehr die sich für sicher haltenden Einwohner, sich außer aller Gefahr, und wünschten einander Glück, solchergestalt von den Truppen einer beschützenden Macht befreyt worden zu seyn. Dieß war eine allgemein unter ihnen verbreitete Empfindung. Aber wie grausam wurde sie getäuscht! Gerade damals fing in allen Quartieren der unglücklichen Stadt eine Plünderung und ein Todtschlagen an, das sehr bald diese allzuvoreilige Zuversicht in Bestürzung und Verzweiflung verwandelte. Ich theilte nicht den Irrthu meiner Wirthe. Ich bin selbst lange genug Soldat gewesen, um zu wissen, was für ein Schicksal durch Sturm erorberten Städten bevorsteht. Eine benachbarte, in Thränen zerfließende Familie, die Schlag auf Schlag an unsre Hausthür anklopfte, sich vor dem ersten Anlauf zu retten, machte es uns nur allzu deutlich, welche Begegnung auch Andere würden zu erwarten haben. Außer dem Schaden, der unser Haus treffen konnte, wenn wir es dazu kommen ließen, daß es mit Gewalt aufgesprengt würde, machte ich noch insbesondere die Betrachtung, daß Madame R*** und ihre beyden Töchter, ein Paar junge Mädchen von äußerst reizbaren Nerven und zarter Leibesbeschaffenheit, vor Schrecken außer sich kommen, und dem Anblicke eines solchen Auftrittes und der ihn begleitenden Gewaltthätigkeiten erliegen würden. Ich hatte daher sogleich schon meine Partie ergriffen. Eiligst legte ich meinen runden Hut weg, setzte einen aufgekrempelten und mit der Nationalcocarde versehenen auf, und stellte mich, meinen alten Adjutantensäbel im Arm, und einen blauen Mantel um die Schultern geworfen, in die offene große Hausthür, von der ich wußte, daß ihr schönes Ansehen nur allzusehr die gierigen Blicke der Marodeurs anziehen würde, die durch alle Straßen strichen, Thüren und Fenster einstießen, und an jeden Ort drangen, wo sie Leute zu finden hofften. Ich hatte das Glück, jeden, der zu rauben kam, von der von mir zu vertheidigen beschlossenen Schwelle abzuhalten. Ich suchte, um mit ihnen fertig zu werden, meine alte rauhe Soldatensprache wieder hervor, redete einen nach dem andern der vor unserer Thür sich zeigenden Haufen seiner Sitt’ und Weise nach an, sagte zu dem Einen: ich stände hier als Sicherheits-Wache, zu einem Andern: ich wäre von einem Generale, der erwartet würde, hergeschickt ihm das Quartier zu bereiten; ich zeigte auf eben vorbeikommende Pulverkarren, und rief ihnen zu: »Da seht ihr? Das ist unsere Equipage, die ankömmt; Platz, Platz gemacht!« — Zu andern wieder sagte ich: daß das Haus der Muncipalität gehöre, und hundert mehr solcher Ausflüchte. Darauf läuft das hinaus, Madame, was zufolge eniger Journale, die meiner Mühe mit zu viel Lobe gedacht haben, von mir hier geschehen ist. Alles dieß war sehr leicht für einen Franzosen, den einiger Eifer für seine Freunde beseelte, der den für den Augenblick gehörigen Ton zu nehmen verstand, und seine Besonnenheit beyzuhalten wußte. Ich danke der höheren Hand der Vorsehung, daß sie mich bey der Gelegenheit beschützt, und meine Maaßregeln hat gelingen lassen. Mir übrigens kostete es weiter kein Unangenehmes, als daß ich mich ein wenig mit ein Paar von den Widerspenstigsten, die durchaus eindringen wollten, herumzausen mußte, einen Kolbenstoß in die Hüfte erhielt, und endlich meinen Mantel einbüßte, der in diesem Handgemenge von meinen Schultern geglitten war, und mir entwandt wurde.

Unterdeß wurde es Nacht; und mit ihr mußte die Unordnung noch zunehmen. Die drey Marschälle waren, in Verfolgung des Feindes, wieder aus der Stadt heraus, und kamen erst spät, Abends um neun Uhr, wieder herein. In der Zwischenzeit war auch Herr R*** aus dem Rathausee angelengt. Seine Zurückkunft brachte den Seinigen, die er gesund und wohlbehalten wieder fand, große Beruhigung mit. Wär er nicht, glücklicher Weise, während seines Heimgehens dem ganzen Weg lang von einer Wache begleitet gewesen, so hätte er große Gefahr gelaufen; denn das Getümmel war erschrecklich. Die Menschen wurden angehalten, ausgezogen; und diejenigen, die isch in den Straßen zu zeigen wgten, gemißhandelt. Kurz vorher hatte sich ein gewisser Rathsherr halbnackend, bleich, auf das Rathhaus retten müssen; es war ihm mit Schlägen zugesetzt worden; wovon ihm auch noch eine solche Schwäche nachgeblieben ist, daß er seine Stelle hat niederlegen müssen. Ein Rathausdiener, der ein Gewerbe zu bestellen ausgeschickt worden, war mit einem Bajonettstiche getödtet worden. Herr R*** brachte uns unter andern auch die Nachricht: er habe sein Haus dem Prinzen Ponte-Corvo zur Bewirthung angeboten Dieß war uns ungemein angenehm und erfreulich. Einige Zeit nachher langte ein Theil der Equpage und des Gefolges des Marschalls auch wirklich an; und nicht lange darauf ward eine Schildwache vor die Thür des Hauses gestellt, und ich so von meinem Posten abgelöst. Endlich erschien der Marschall selbst; die Beschwerlichkeiten dieses und der vorhergegangenen Tage hatten ihn sehr mitgenommen; als er herein ins Haus trat, hatte er noch seinen Degen in der Hand, weil er ihn so eben gebraucht, auf seinen Wege verschiedene Häuser von der Plünderung zu erretten. Er war vor dem Rathhause abgestiegen, und zwey Mitglieder des Senats hatten ihn bis an seine Wohnung begleitet. Wir empfingen ihn sämmtlich auf der Diele, als einen Erretter. »Madame,« sagte er zu Madame R*** mit bewegtem und empfindungsvollem Ton, indem er ihr die Hand reichte, sie hinauf zu führen, »ich komme hier nicht her, Ihnen Gutes zu erzeigen, aber doch Sie so wenig Schlimmes als möglich erfahren zu lassen.« — Kurz darauf sagte man ihm an, es sey aufgetragen. Er ließ uns, Herrn, Mandame R*** und mich, einladen, mit ihm zu speisen; auch haben wir nachher immer bis zu seiner Abreise, die am 22sten statt fand, die Mahlzeiten in seiner Gesellschaft zugebracht. Gegen mich besonders bewies er unendlich viel Wohlwollen und Güte. Ich habe in der Folge Gelegenheit genug gefunden, den ganzen Adel und die Großmuth seiner Seele zu erkennen. Er hat in der meinigen eine wahrhaftige Ehrerbietung und Ergebenheit gegen sich zurückgelassen, die nie verlöschen wird; wohin auch jemals uns das künftige Schicksal verschlage. Ich verdanke ihm einige der schönsten Augenblicke meines Lebens; weil das Zutrauen, womit er mich beehrte, mich in den Stand gesetzt hat, den Operationen unserer Armee von einigen Nutzen zu seyn, und dieser guten Stadt verschiedne Dienste zu leisten; besonders verschaffte es mir die Mittel, mehr als einen Franzosen von Handlungen abzuhalten, vor denen er vielleicht den Tag darauf erröthet seyn würde. Der Prinz erlaubte mir den Titel seines Secretairs zu führen, und sein Ansehen überall, wo ich könntem geltend zu machen, Gewaltthätigkeiten abzuwehren. Diese wohlthätigen Waffen kamen wir gar sehr zu statten. Die Nacht vom 6ten bis zum 7ten, wie auch verschiedne der darauf folgenden, genoß ich keines Augenblicks Ruhe noch Schlafs. Sobald man erfuhr, der Marschall Bernadotte logiere bey Herrn R***, wurde die Hausthür von einem Gedränge von Frauenzimmern in Thränen, und Männern mit blassen verstörten Gesichtern umlagert, die unsre Hülfe anflehten. Ich folgte aufs Gerathewohl den Ersten Besten, welche mich mit sich fortzogen. Ich hatte weder Ohren noch Stimme genug, für alle diese bekannte und unbekannte Personen; von denen jede mich um Gotteswillen bat, die mich hin und her schoben, mir die Kleider zerrissen, (und das Herz!): daß ich ihnen zu Hülfe kommen möchte! Welch eine Nacht! Die meisten Häuser aufgebrochen; mit Lichtern, Getümmel, Gehenden und Kommenden angefüllt; andre auch verschlossen, aus denen man verwirrtes Getöse hervorkreischen, sogar Flintenschüsse darin fallen hörte. So ging ich unter Thränen,unter Stößen, womit die Hausthüren eingesprengt wurden, unter Verzweiflungsgeschrey, wildem Geheul, klirrenden Gläsern, Hausgeräthe, welches die Verwüster zerbrachen, unter Truppen zu Pferde und zu Fuß, die sich durchkreuzten, auf einem mit stinkenden Kothe und Blut besudeltem Pflaster; stolpertn über die in den Straßen herum liegenden Menschenleichname und Pferdeäser; einmal fiel ich auf welche, und denke noch mit einem nicht ausdrückbaren Grausen daran zurück. Ich stand auf, und suchte unter dem Haufen ekelhafter Gegenstände meinen Hut wieder, als ich vom Ende der Straße her ein Regiment mit seiner ganzen Musik aufmarschieren sah. Dieser zerreißende Contrast, (der deucht mich, den Himmel hätte erreichen müssen;) von Frudentönen mit den trauervollen Ausbrüchen des Schmerzes, ergriff mein innigstes Wesen und schien es fast mit Auslösung zu bedrohn; wie ein Glas beym Stoße in ein Horn dröhnt, und zerspringt. Ich war wie erstarrt, ich sah nicht mher. Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich meine Augen naß; eine meiner Hände in den Haaren, die sie wie instinktmäßig auszuraufen sich mühte; alle meine Kräfte mußte ich zusammennehmen, um nicht zum zweytenmale auf eben das Pflaster niederzustürzen, von dem ich mich aufgerafft hatte. In dieser Erschütterung brach ich in einen Thränenstrom aus; und rief, ohne zu wissen was ich sagte: »O, siemachen Msik! die Grausamen! sie machen Musik!« — Dieser Augenblick ist, glaube ich, der schrecklichste, den ich je in meinem Leben erfahren. Sie werden mir das leicht glauben, Madame, Sie, die Sie zu empfinden vermögen; Sie, die Sie die ernste Bedeutung der Thränen eines Mannes kennen, der nicht leicht weint.