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Villers Brief an die Gräfinn Fanny von Beauharnois enthaltend eine Nachricht von den Begebenheiten, die zu Lübeck an dem Tage, Donnerstag den 6ten November 1806 und folgenden vorgefallen sind

Zweiter Teil.

Andre in Lübeck entweder ansässige oder sich nur gelegentlich damals dort aufhaltende Franzosen, haben indeß mit vieler Festigkeit die Häuser ihrer Gastfreunde vor der sie bedrohenden Gefahr zu sichern verstanden. Auch die Generale, ihre Adjutanten verwandten sich, so viel sie konnten, eben dafür. Der wackere General Maison jetziger Commandant in der Stadt, und Chef des Oberstabes des ersten Corps, schien sich gleichsam zu vervielfältigen, den ausschweifungen Einhalt zu thun. Eine Menge einzelner Officiere gaben sich gleichfalls darin sehr geflissentliche nicht genug zu lobende Mühe. Aber sie waren nicht mehr Herr über die erhitzten Soldaten, die sich Alles in einer durch Sturm eroberten Stadt erlaubt glaubten, in der sie ihren Feind angetroffen hatten, und deren politische Verhältnisse mit Frankreich ihnen unbekannt waren. Verschiedne dieser würdigen Officiere indeß sind genöthigt gewesen, ihre gute Absicht wieder aufzugeben; einer von ihnen kam sogar ums Leben; verschiedne andre erfuhren Mißhandlungen und wurden schwer verwundet. Herr von Clary, abjungierter Hauptmann beym Oberstabe des Prinzen von Ponte-Corvo, wurde an der linken Schulter von einem Schusse getroffen, der ihm das Blatt zerschmetterte, und leidet noch jetzt sehr schwer an den Folgen seiner Wunde, in dem nämlichen Hause, für welches er so großmüthig sein Leben in die Schanze geschlagen hat. Ein sehr glänzendes Zeugniß muß auch dem 33sten, zum ersten Corps gehörenden Infanterieregiemente ertheilt werden. Nicht allein haben die Soldaten dieses Regiments sich des Raubes enthalten; sondern sich auch dem Plündern überall, wo sie sich befanden, widersetzt. Lübecks Jahrbücher werden dieses Regiments stets gedenken. Ehre der Menschlichkeit der tapfern Soldaten des 32sten Regiments! — Ehre ihrem würdigen Obristen! —

Am folgenden Tage, sich um 7 Uhr, stiegen der Großherzog von Berg, und der Prinz von Ponte-Corvo, mit allen ihren Generalen zu Pferde, die Preussen in ihrer letzten Position, eine Meile hinter der Stadt, jenseits des, Sr. Durchlaucht dem Herzoge von Oldenburg (ehedem Bischofe von Lübeck) gehörenden Dorfe Schwartau, zu forciren. Um halb zehn Uhr schickte Herr von Blücher an den beyden Prinzen einen Officier zum Parlementiren; erschie kurz darauf auch selbst ; und die Capitulation kam zu Stande, und wurde unterzeichnet im Dorfe Ratkau. Die Beschäftigung die preussischen Truppen die Waffen strecken und sie vor sich defilliren zu lassen, kostete hierauf den Prinzen noch einige Stunden; so daß sie nur erst um 3 Uhr Nachmittags wieder in die Stadt zurückkamen. Die Lage der Einwohner war an diesem Abende noch trauriger, als am vorigen, weil auch noch neue Truppen in die Stadt zogen, die noch keinen Theil an der Beute gehabt hatten; und man auch die zwanzig tausend Mann gefangener Preussen herein brachte, welche in den Kirchen und Kirchhöfen schlecht bewacht, von da in die benachbarten Häuser einbrachen, und in manchen davon nicht geringen Unfug verübten.

Ueberhaupt erlauben Sie mir die Anmerkung zu machen, Madame, daß diese Plünderung Lübecks von ganz besonderen Umständen begleitet gewesen ist, wodurch sie trauriger und verderblicher als die irgend einer anderen Stadt geworden ist, und von denen ich Ihnen einige nummernweise angeben will. Die ersten viere betreffen die Dispositionen der Armee: die vier folgenden die der Stadt, und die letzte bezieht sich auf beydes.

1) Die Truppen warn durch schnelle Märsche und einen in einer abscheulichen Jahrszeit gemachten Feldzug ermüdet. Das Gefecht bey Lübeck war sehr mörderisch gewesen. Der Soldat war übeler Laune, und ließ das fühlen.

2) Die Stadt hatte es nicht blos mit Einem Corps der großen Armee, sondern mit vieren zu thun, die in gedrängten Colonnen von Norden, Mittag und Osten her kamen, nicht um schnell durchzugehn, sondern bey uns ihren Feldzug zu beschließen. Wenn ein einziges Corps mit Gewalt in eine Stadt dringt, so können Unordnungen vorfallen; allein sie sind leichter zu unterdrücken; sie sind von kurzer Dauer; weil ein solches Corps in Vewegung ist, und seinen Feind verfolgt. Es ist dann ein Ungewitter, dem im Vorbeygehn der Blitz entströmt, und das nachher nach einem andern Orte hinzieht. Aber wenn drey Ungewitter zusammen auf Einen Punkt getrieben werden, wenn sie sich dort fassen und zugleich zerplatzen; so entsteht ein Wirbelwind, eine Art von Wasserhofe, deren furchtbares Strudeln Alles verschlemmt, verwüstet, verheert.

3) Daraus, daß in der Stadt drey Corps zusammentrafen, jedes von dem andern unabhängig, folgte auch eine dryfache Befehlshaberschaft, die eine gewisse Anarchie mit sich führen mßte. Urtheile Sie aber selbst, was aus der Gesetzlosigkeit von fünfzigtausend bewaffneten Soldaten entspringen kann, die sich in einem eroberten Lande zu befinden glaubten, und die die schreckliche Ueberzeugung hatten, die im Sturm eingenommene Stadt gehöre ihnen zu.

4) Denken Sie sich hierzu noch die zwanzigtausen Mann Preussen, die Lübeck sich eben so sehr als nichts angehend betrachten, wie dieß die Franzosen thaten. Es befanden sich also in dieser unglücklichen Stadt, an Soldaten mehr als das Doppelte ihrer Einwohner; Weiber, Kinder und Greise mit einbegriffen.

5) In der Stadt war nichts, wie es hätte seyn müssen, eingerichtet; und Alles im unglücklichsten Wirrwarr. Da es mit dem Ueberfall so plötzlich hergegangen, und man nicht im Mindesten auf eine solche Begebenheit sich gefaßt gemacht hatte, so hatten für nichts gehörige Veranstaltungen getroffen werden können; es waren keine Fourragemagazine, kein Brod bey den Bäckern vorhanden, keine Quartiere für Menschen und Pferde in Stand gesetzt worden. Ueberdem hatte man keine Erfahrung in solchen Dingen; und das Schrecken verhinderte Jedermann, irgend nothwendige Maaßregeln zu ergreifen.

6) Man befand sich gerade in der Jahreszeit, in der jede Haushaltung sich schon ihren Vorrath auf den Winter angeschafft hatte, sowohl an Brennholz, als an Eßwaaren und andern Lebensmitteln. Alles Gesammelte wurde, selbst in den Häusern der Aermsten, in weniger als acht Tagen aufgezehrt, verspillt, verschleudert.

7) Die ersten Novembertage sind in Lübeck die Zeit der Jahreszahlungen, abzutragender Zinsen, zu erlegender Hausmiethen, der unzusetzenden Capitale, und einer Menge anderer zu berichtigender Schulden. Jeder Hausvater hatte also in Säcken, oder Geldrollen, die Summen bey sich, die er bezahlen mußte, oder die eben von ihm eingenommen worden waren. Alles dieß wurde auf Einmal ein Raub der Eindringenden.

8) Wodurch die Beute noch unermeßlicher ward, war der Umstand, daß eine große Anzahl der Einwohner, in deren Seelen anfangs kein anderer Gedanke kam, als der etwa der Möglichkeit eines Brandes, ihre Kostbarkeiten an sich tragen oder sie und ihr Silberzeug in Kästchen aufhäuften; mache von ihnen stellten sich sogar mit diesen Sachen von Werth in ihre Hausthür; im Falles einer Feuersgefahr sich desto leichter retten zu können. Die Marodeurs ripsrapsten das Alles zusammen weg. Wenige Tage nachher sah man in einer kleinen hannoverschen Stadt einen Soldaten an Vorübergehende ein sehr schönes brillantenes Halsbande für drey Louisd’or feilbieten. Es giebt Häuser, aus denen man auf diese Weise an 30.000 Franks baares Geld weggeschleppt hat; andre, die für eine fest eben so beträchtliche Summe an Pretiosis verlohren haben.

9) Einen der Hauptzweige von Lübecks Handel macht der von Weinen und Franzbrandtweinen aus. Da diese Getränke in Menge, und von guter Eigenschaft hier vorhanden waren, so glaubten die einwohner, um die Soldaten zu besänftigen, nichts Bessers thun zu können, als wenn sie ihnen reichlich davon zu trinken gäben. Dieß geglaubte Rettungsmittel machte aber das Uebel nur noch ärger. Die, während aller dieser ersten Tage betrunkenen Krieger, ließen sich nur noch zu desto mehr Gewaltthätigkeiten hinreißen. — Der Unterschied der Sprache, und die Unmöglichkeit sich einander verständlich zu machen, ward auch eine Quelle von sehr unglücklichen Mißgriffen und Vorfällen.

Schon am Abend vorher war ich eingeladen worden, in den Senat zu kommen. Ich konnte nur erst am folgenden Morgen, bey guter Frühe mich dahin verfügen. Fast alle schätzbaren Männer, aus denen er besteht, sind meiner besonderen Freunde. Sie kannten meine aufrichtige Ergebenheit an ihre Stadt, und meinen guten Willen. Ich war besser als sie mit der Organisation einer Armee und der Art wie an mit Soldaten sich nehmen muss, bekannt. Auch setzte die Sprache sie, bey den beständig vorfallenden mündlichen Mittheilungen in Verlegenheit. Das reinste Verlangen beseelte mich, ihnen nützlich zu werden, ihnen die Schuld einer langen Gastfreundschaft abzutragen, und so viel möglich in ihren Nöthen Beystand zu seyn. Also, obgleich ein Reisender auf dem Fahrzeuge, hielt ich mich in dieser Zeit des Sturms für verbunden, Hand an das Steuerruder zu legen, und der gefahrlaufenden Mannschaft Hülfe zu leisten. Ich brachte deshalb von dem Augenblicke an, einen guten Theil meiner Zeit auf dem Rathause zu.

Ohne in dieser Hinsicht weitläufig ins Einzelne zu gehen, sey es genug, hier zu sagen, daß die Beschffenheit der Vorfälle und die Güte des Prinzen Bernadotte mir es häufig verstatteten, die Zwischenperson zwischen ihm und dem Senate zu seyn, und daß ich glücklich genug war, einige Rathschläge dabey ertheilen zu können, deren Ausfphrung, wie ich glaube, heilsam geworden ist; andre die man vielleicht Ursache gehabt hat, zu verwerfen; einige endlich, die man vielleicht besser gethan hätte, u befolgen. — Aber was sah ich, als in diesem Senate anlangte, in diese Versammlung der Väter ihres Vaterlandes tratm von denen einige ehrwürdige Greise, und alle höchst würdige Obrigkeiten sind; so wie ihre Gesammtheit eine in ganz Europa anerkannte, und von unserm erhabenen Kayser, der an sie schreibt, der ihre Gesandten aufnimmt, der bey ihnen einen beglaubigten Minister angestellt hat, und sogleich Achtung und Wohlwollen gegen sie bezeigt, mit Gunst behandelte Regierung ausmachen? Ich sah im Schooße ihres Versammlungssaals, aus ihren Sitzen, in ihren Reihen, einen Haufen ungestümer Leute jedes Standes; Bedienten Furhleute, Troßbuben der Armee sogar, mit lautschreyendem Getümmel, die übermüthigsten Anforderungen herauspolieren. Ich höre z. B. einen Koch mit Hohn zu einem dieser Consuln oder Bürgermeister sagen: er müßte augenblicklich dreyßig Dutzend frische Austrn für seinen Herrn haben! Ich gestehe, daß mich dieses Schauspiel so verunwilligte als betrübte; ich brachte Klage darüber bei dem Prinzen an; worauf dieser auch einen Oberofficier, mit dem Befehle hinsandte, Veranstaltung zu treffen, daß der Senat in Ehren gehalten würde.

Die Lage desselben blieb indessen immer außerordentlich mißlich und mühevoll. Der Bedürfnisse für drey große Armeencorps, (von der überwundenen und gefangen genommenen Armee und von zehn Spitälern nicht zu reden, die sogleich für die Verwundeten und Kranken beyder Parteyen eingerichtet werden mußten) waren unermeßlich. Die Requisitionen folgten eine der andern Schlag auf Schlag, und man verlangte, mit der bekannten französischen Schnelligkeit, der Senat solle ihnen ohne Verzug Genüge leisten. Nun aber fehlte es diesem in dem Augenblicke durchaus fast ian Mitteln dauzu, und er war in allen seinen Handlungen wie gelähmt. Seine Schaffner, seine reitenden Diener, seine Boten, waren größtentheils auf der Flucht, oder in ihren Häusern, die man plünderte, oder hatten sich verborgen, oder waren sogar umgekommen, nur eine kleine Anzahl davon, und unter andern verschiedene Personen des Lübeckischen Officiercorps ausgenommen, das sich mir aufopfernden Eifer in dieser Verwirrung hervorthat, weil an seiner Spitze der Herr Major Kaufmann sich befand, ein Mann von ausgezeichneter Thätigkeit, und der dazu auch gut französisch spricht. Es sollte Brod herbeygeschafft werden, und alle Backerhäuser waren in Verwirrung; Futter für die Pferde, — und es gab keinen Strohhalm mehr in der Stadt und in ihrem Weichbilde eine halbe Meile im Umkreise; Wein, — den hatten sich die Soldaten, die in die besten Keller drangen, auslaufen zu lassen, belustigt; Pferde, — die waren schon ihren Eigenthümern weggenommen worden, und mitten auf der Straße wurden sie demjenigen, die welche nah den verlangten Orten hinbringen sollten, weggerissen. So es mit allen Üebrigen beschaffen. Menschen, Lebensmittel, Gesräthschaften etc. nichts war disponabel, nichts an seinem Platze. Gleichwohl waren die Forderungen gebieterisch, dringend vervielfältigten sich auf eine erschreckende Weise. Es stockte mit allen bey den Einquartierungen zu beobachtenden Kleinen Einrichtugnen; alles dieß war um in Verzweiflung zu setzen! In diesem Wirrwarr hatte überdieß noch der gedoppelten Functionen der Municipalität und der Regierung vorstehende Senat, über wichtige Gegenstände des allgemeinen Wohls zu berathschlagen, über eine an den Kasyser abzusendende Deputation Ueberlegung anzustellen; große Handelsmarken, Anschaffung von Lebensmitteln betreffend u.s.w., nachzudenken. —Da hätte wohl jeder Sterbliche den Kopf verlieren mögen, auch verlor ihr gar Mancher hier!

Was die Lebensmittel und die Fourrage betrifft, so würde es durchaus ganz in den ersten Tagen daran gefehlt haben, hätte der Kronprinz von Dänemark nicht Mitleid in dem kläglichen Zustande der Stadt gehabt, Einer Deputation, die nach Kiel an ihn geschickt war, bewilligte er gern die Erlaubniß, Lebensmittel und Fourrage aus Holstein zu ziehen, was selbst eben keinen zu großen Ueberfluß daran hate. Diese edelmüthige Willfährigkeit des Kronprinzen rettete die Stadt für den Augenblick, denn die beyden andern angränzenden Länder, Hannover und Mecklenburg waren erschöpft, und das kleine Gebiet Lübecks war schon ganz verheert und ausgesogen bis nach Travemünde. Alles, was ich von der Plünderung der Stadt gesagt habe, ist noch viel schlimmer in den dreyßig oder vierzig Dörfern wiederholt, welche davon abhängen. Entblößung und Elend sind dort aufs höchste gestiegen.

Ich bin jetzt in meiner Erzählung am Abende, Freytags den 7ten, von dem das Andenken mir ganz besonders ein Gräuel ist. Die Verwirrung war in dden Straßen eben so groß, als am vorigen Tage, verursacht, sowohl durch die Truppen, als durch die, wie ich schon gesagt habe, in die Stadt wieder zurückkehrenden Gefangenen; und in den Häusern, wo man zu verwüsten anfing, herrschte lauter Verzweiflung. Kaum, daß ich die Personen wieder kennen konnte, die mir aufstießen! Männer und Weiber sahen Gespenstern ähnlicher als Menschen. Einige Freunde, in deren Wohnungen ich ging, hatten weder Wäsche noch Kleider, noch Lebensmittel mehr; keine unversehrte Möbel, keine Fensterscheibe ganz im Hause. Der Herr Syndikus Curtius, welcher in diesen Tagen der Verwirrung und der Gefahren ruhige Energie und den Eifer der wahren Vaterlandsliebe zeigte, fand, wie er mit mir heim ging, sein Haus so umgekehrt als hätte es ein Erdbeben ausgestanden. Sein Cabinet stellte ein Bild des Chaos dar. Schränke, Schreibtische, Schubfächer, Bücherbretter zerbrochen und umgeworfen; seine Bücher, seine Papiere verstreut und zerrissen, bedeckten den Boden und trugen die schmutzigen Spuren der Füße, welche darauf herumgestampft hatten; Papiere, welche fast alle sein Amt anginge. Alles, was einigen Werth hatte, bis auf ein altes Familienpetschaft, war fort. Dieselben Auftritte hatten bey noch vielen Andern statt gehabt. Hier hatte man Einen »im Nahmen des Kaysers« ausgeraubt. (Ja, Madame, sollten Sie’s wohl glauben? Dieses verehrten Nahmens, der Jedermann Trost und Wohlthat bringen sollte, hat man sich freventlich bedient, Räuberey zu heiligen!) — »Im Nahmen des Kaysers gieb mir deinen Beutel! — deine Uhr! — deine Hemden! — dein Weib!« — Eine solche Entweihung ist empörend! — »All’ dein Geld her, oder du stirbst!« — war die gewöhnliche Formel, mit auf die Brust halten einer Flinte, einer Säbelspitze, eines Pistolenlaufs unterstützt! Gar manche Unglückliche sind erwürgt worden, weil sie nicht schnell genug gehorchten; Männer, ehrwürdig durch ihr Alter, ihre Sitten, ihren Stand; Diener der Religion, sind geschlagen worden; haben Ohrfeigen bekommen; man hat sie unter die Füße getreten, verwundet, mit Stricken um den Hals fortgeschleppt, aufgehängt, und beynahe wären sie auf ihrer Diele erdrosselt worden, wäre man nicht eiligst hinzugeeilt, sie zu befreyen. Ein gewisser Greis, ein reicher Weinhändler, Herr Kreel, den man in seiner Behausung beym Leibe gepackt, hatte gleich anfangs Alles, was er besaß, hergegeben. Da die Plünderer wahrscheinlich fanden, es sey zu wenig, fingen sie an, ihn durchzusuchen, und glaubten an seinen Weichen einen Gürtel mit Gold angefüllt zu fühlen; sie rissen ihm die Kleider ab, statt des Goldes aber entdeckten sie an dem Unglücklichen ein Bruchband. Über den Mißgriff erbittert, stößt einer den Greise den Säbel ins Eingeweide, er stürzt vor den Augen der Seinigen todt nieder! — Ueberall, wo ich hinging, hörte ich ähnliche Auftritte erzählen. Bisweilen warf man die Eigenthümer aus ihren Häusern heraus, sich darin einzuschließen, und mit mehrerer Gemächlichkeit zur Plünderung zu schreiten. Eine schwangere Frau, die eben so behandelt ward, kam mitten auf der Straße nieder. Man hörte nichts als Aechzen und Gestöhn, mit Geschrey und Flüchen untermischt. — Mein Hut machte unterdeß, daß man mir überall einigen Respect bewieß; das Ungefähr wollte gerade, daß er von eben derjenigen Form war, als der, welchen gewöhnlich unser Kayser zu tragen pflegt, und da auch mein Haar kurz geschnitten und ungepudert ist, hörte ich mehrmals im Vorbeygehn sagen: »Sieh doch einmal wie der Der! — da! Dem Kayser gleicht!« — Einmal ging ich vor einem Soldaten vorbey, der getrunken zu haben schien, und aus der Thür des Hauses eines Armen herauskam. Er war ganz wie von Sinnen, tobte, schwang seinen bloßen Säbel um den Kopf, und schrie: »Mein Schurke von Wirth will mir keinen Wein und keinen Braten geben. Soll aber auch den Säbel in den Leib krigen, daß er …« — »Recht so !Camerad!« redete ich ihn an, indem ich vor ihm stillstehen blieb; »stech ihn todt! Es ist’s wahre Mittel zu Essen und zu Trinken zu kriegen! Kannst sein Blut saufen, sein Fleisch fressen! Menschenfleisch soll vortrefflich schmecken, heißt’s!« — Der Kerl, der mir steif mit der schlotternden Dumpfheit eines Trunkenboldes ins Gesicht gesehen hatte, als wenn ich ganz im Ernste zu ihm geredet, steckte seinen Säbel wieder in die Scheide, drehte sich mit einer Capriole auf den Hacken herum, und antwortete: »Ey! Verflucht … nein! So ist es nicht meynt! — « —

Unter so vielen grausamen und tragischen Ereignissen, fielen auch ausschweifend komische und groteske Züge mit vor. Ein gewisser Advocat, der ein alter Junggeselle war, (ein großer nd sehr hagerer Mensch,) staffirte sich, entweder weil man ihm seine Kleider weggenommen, oder vielleicht auch, weil er unter dieser Vermummung besser durchkommen hoffte, mit den Röcken und der Haube seiner Magd, wie Aristophans Blepyrus aus, und kam so in dem Anzuge mit lautem Geschrey auf dem Rathause angestiegen, wo man anfangs große Mühe hatte zu erkennen wer er sey? — Ein anderer Mann, schon bey Jahren, wurde von Dragonern an den Schwanz eines Pferdes gebunden, um ihnen zum Wegweiser nach Travemünde zudienen; wohin er denn Nachts bey erschrocklichem Wetter von ihnen fortgeschleppt, nachpatschen mußte. Eine Frau aus der Mittelklasse, allein mit ihrer Tochter im Hause, stürzte auf ihrer Diele einige Meubeln um, warf hie und da einiges alte Zeug hin, riß sich die Mütze ab, und wälzte sich weinend und jammernd an der Erde, und in diesem Zustande, bey offener Thür, erwartete sie die Marodeurs, welche alle ihres Weges vorüberzogen, in dem Wahn, andere hätten schon alles in Richtigkeit gebracht. Ich habe Jäger und Husaren auf den Straßen mit atlassenen und sommernen Fraunzimmerpelzen, in großen Schawis, mit künstlichen Blumen und Federn an ihren Hüten, und Perlenhalsbändern um den Hals, herumlaufen sehen. Ein Infanterist von den leichten Truppen hatte einem lutherischen Prediger seinen weiten Kirchen-Chorrock, von schwarzem Camelot, weggenommen, und trug ihn, die Patrontasche mit den Riemen darüber gehangen, als Oberkleid. — Dem Pastor an St. Marien, Herrn von der Hude, war durch verchiedene Rotten, von ein und zwanzig bis dreyßig Marodeurs, fast alle seine Habe geraubt worden. Zwey Soldaten brachten die Nacht in seinem Hause zu, ohne daß sie weiter arge Absichten gegen ihn blicken ließen; nur hatten sie gewaltige Foderungen für ihre Abendmahlzeit und eine gutes Bett gemacht. Am folgenden Morgen schienen sie sehr zufrieden; aber, ihm Augenblicke des Weggehens, nachdem sie sich vollauf mit Eßwaaren beladen, erklärten sie noch ihrem Wirthe: sie müßten auch alles sein Geld haben, und was er sonst an Werth besäße. Da sie ihm mit Thätlichkeiten drohten, entschloß sich Herr von der Hude ihnen auch noch das Wenige hinzugeben, was er am vorigen Tage gerettet hatte. Jedoch, nicht zufrieden mit dem was er anbot, hießen ihn die Schnapphähne seine Taschen ausleeren. Ungern und mit Sträuben zieht er eine kleine runde silberne Dose hervor, bey deren Anblick die Räuber aufschreyen: »Aha! Da kömmt’s Ducatenbüchschen!« — »Nein!« erwiedert der Gesitliche, »es ist eine Dose die meiner Kirche angehört, und aus der ich meinen Kranken das Heilige Abendmahl reiche.« — Indem er dieß sagt, öffnet er sie und zeigt ihnen die Oblaten (für sie Hostien) darin. Wie sie die ansichtig werden, erschrecken sie, bitten ihn um Verzeihung, werfen sich auf die Kniee nieder, und ersuchen ihn demüthigst um Erlaubniß, die Dose zu küssen. Endlich verlassen sie ihn unter tausend Entchuldigungen, aber — wohl zu verstehen — ohne ihn von dem sonst Entwandten irgend etwas zurück zu geben. Erstaunliches Gemisch, Madame, von unsittlicher Rohheit und Aberglauben! — Denn man kann doch wohl nicht eine so grobe Abgötterey, die so wenig Einfluß und Wirkung aufs Herz zeigt, Religion nennen!

Ich weiß nicht, wie es zugegangen, daß in der Stadt nicht an ellen vier Enden Brand ausgekommen, und sie während dieser Tage und Nächte voll Unordnungen und Greuelunfugs, zu einem Aschenhaufen verwandelt worden ist. In verschiednen Häusern, in die ich gekommen bin, sah ich auf den Heuböden, in den Ställen, Reiter, Fuhrleute, Pferdeknechte, mit kurzen Lichtern, die sie ohne alle Vorsicht aus der Hand setzten, und mit angezündeten Stohwischen, ab- und zugehen. Dasselbe geschah in den dick mit Streu für Menschen und Pferde bestreuten Zimmern und Hausdielen. Ich habe manchmal Pferde in die auf die Diele hinausgehenden Zimmer und Säle eingestallt gesehen, die köstliche Fußteppiche zerstampften, besudelten, und vor denen die Freßtröge auf Marmortischen, großen Wandspiegeln gegenüber, hingestellt waren. Zwar kam auch wirklich an manchen Stellen Feuer aus; allein es wurde denn doch immer noch, wie durch ein Wunder, gelöscht. Dasselbe geschah in einem der Häuser des Herrn Bürgermeisters Rodde; hatte indeß keine Folgen. Ich habe noch vor kurzem einen Balken gesehen, der geglimmt hatte, und seiner ganzen Länge nach zu Kohlen verwandelt war, ohne daß gleichwohl das übrige Gebäude dadurch in Brand gesteckt werden. In Wahrheit! Eine besondere Vorsehung scheint in diesem Stücke über der armen Stadt gewaltet zu haben. Ihr Unglück würde aufs Höchste gestiegen seyn, hätte der Brand sich verbreitet; niemand hätte aufs Löschen bedacht seyn können.

Allein ein noch betrübenderes Unglück als der Brand, als die Beraubung, als der Tod selbst, weil es eine Verletzung der geheiligsten Rechte, eine Entweihung des Ehrenwürdigsten, Süßesten und Reinsten, so das Leben besitzt; eine schändliche an der Freyheit und dem Willen mit wilder Verachtung der ganzen Menschheit verübte Gewaltthätigkeit ist: sind die von viehischer, keinen Zügel mehr erkennender Rohheit, dem schwächern Geschlechte widerfahrnen Schmählichkeiten. Bluntbesudelte Elende benutzten die Aengste des Schreckens, um mit ihren gräuelvollen Wollüsten unglückliche Schlachtopfer, halbtodte Weiber zu vergiften. Die meisten von diesen werden ihre Entehrung nicht lange überleben; und ihre unglücklichen Familien, ihre Gatten, ihre Mütter, ihre Geliebten auf späte Zeiten in ihrem Herzen einen tödtenden Nagewurm davon behalten. Man hat in verwichener Woche eine junge Person von achtzehn Jahren, ein schönes, frommes, sittsames, gutes Mädchen begraben; die vorher die Liebe und die Freude ihrer Eltern, ihres ganzen Stadtviertels war. Eine gewisse, am Tage vor dem Ueberfall verehlichte Frau eines Handwerksmannes ist weniger unglücklich gewesen, weil sie nicht so lange ihre Schmach mit sich umhergetragen. Zwey und zwanzigen dieser unnatürlichen Kerle hingegeben, wurden diese endlich gewahr, daß sie aufgehört zu leben; daß sie in letzten Zügen läge. Das Haus, welches ich selber gesehen habe, liegt nahe bey einem Teiche, den der Stadtwall mit einschließt; die Ungeheuer warfen die Unglückliche, so weit as sie konnten, hinein; aber weil niedrig Wasser war, blieb sie unter dem Schilfe im Schlamm des Ufers liegen, wo sie nach Verlauf einiger Stunden den Geist aufgegeben hat. Es ist mir erzählt worden, daß eine andre Frau, von Soldaten verfolgtm, sich ihrer Sinnen wie beraubt, um jenen zu entkommen, mit ihrem Kinde, das sie in den Armen hielt, oben von einer Brücke in den Fluß gestürzt habe. Sie wurde noch lebend aus dem Wasser gezogen; allein ihr Kind war ertrunken. Die untröstliche Mutter glaubt sich jetzt eines Kindermords schuldig und hat den Verstand darüber verlohren. Hier noch ein durch seine Ausserordentlichkeit merkwürdiger Umstand: Soldaten vom 4ten Corps, die ins Irrhaus eingebrochen waren, trieben ihre viehische Lust so weit, daß sie sogar der in diesem Spitale eingeschlossenen wahnsinnigen Dirnen mißbrauchten! Zweyen dieser Unglücklichen sind davon scheußliche Spuren übrig geblieben, die sie das traurige Glück haben, nicht genau zu unterscheiden. Dieß mag wohl eine vielleicht Einzige Thatsache in der Geschichte der Kriege und der gesellschaftlichen Barbarey heißen! Eines Morgens, den 7ten, wurde ich von einer Erscheinung betroffen, die einen tiefen Eindruck bey mir zurückgelassen hat. Ich gin schnell auf dem St. Marienkirchhofe, nahe bey dem Rathhause vorbey. Hier begegnete ich einem unglücklichen Mädchen, die mir 24 oder 25 Jahr alt zu seyn schien; sie war blond und ziemlich groß. Ihr Haar flog auf eine schreckliche Weise; ihr fahles Gesicht starrte dumpf hin ohne Ausdruck; ihre Augen sahen nicht mehr, weinten nicht mehr; aber die Spuren zweyer vertrockneter Thränenströme glänzten auf ihren Wangen. Ihr Halstuch, ohne daß sie’s wußte, umanständig aufgerissen, ließ ihren rothen blutrünstigen, zerkratzten Busen erblicken. ZWey betagte Frauen in Thränen, unterstützten ihre wankenden Schritte, und schoben sie gleichsam vor sich her; denn gehen konnte sie nicht. Ich brauchte darüber nichts zu fragen; ihr Anblick verrieth Alles! Noch sehe ich sie! die Unglückliche! Nie wird dies Bild mir aus dem Gedächnisse schwinden. Kurz, es sind Gräuel so wilder, so beyspiellos frecher Wollust vorgefallen, daß ich, Madame, nicht einmal nur darauf hindeuten darf; Gräuel, die an die Seiten eines allzuberüchtigten Buches , die Schande unserer Sprache! Erinnern. Einige meiner Freunde, welche Aerzte sind, haben mir mehrere Beyspiele von grausamen Folgen solcher Mißhandlungen erzählt. Man spricht auch von einigen Schwangerschaften, vor deren Ende sich die armen Schlachtopfer wie vor ihrer Hinrichtung entsetzen. Eine Menge junger Personen weiblichen Geschlechts haben diese Entsetzungstage in verborgenen entlegenen Kellern, einige sogar auf dem Dachwerke ihrer Häuser zugebracht. Uebrigens, Madame, können Sie leicht denken, daß, einige allzuviel Aufsehen erregende Unglücksfälle ausgenommen, die von dieser Beschaffenheit gerade diejenigen sind, von denen das Publikum am wenigsten unterrichtet ist; und daß man sich bemüht, solche schmerzhafte Geheimnisse in dem Schooße der Familien, unter dem Siegel des Schweigens zu verschließen.

Der Leichtsinn unserer Nation nimmt bisweilen die Erzählung von Mißgeschicken dieser Gattung mit einem unanständigen, unmenschlichen Lächeln auf. Ich selbst bin ganz vor kurzem wohl zehnmal Zeuge davon gewesen; und neuerlich noch, bey jenen Greuelscenen, womit ich einen Augenblick, Madame, Ihre Seele betrübe. Die jämmerlichsten Sarcasmen, die man sich bey solcher Gelegenheit erlaubt, zeugen aber wohl aufs Schrecklichste von einer das Menschengeschlecht entehrenden Gedankenlosigkeit, Geistes- und Herzensherabwürdigung. Ein solches Lächeln kommt mir wie das Lächeln der Hölle vor; und nichts moralisch Scheußlicheres kenne ich! Freylich ist’s nur allzuwahr, daß nicht alle Personen des weiblichen Geschlechts in gleichem Grade auf Ehrehrbietung und Achtungsaufmerksamkeit Anspruch machen können. Es zieht ihrer, deren sämmtliche Seelenvermögen so roh und so wenig entwickelt sind, daß sie sich kaum über den Zustand der Thiere zu erheben scheinen; Elende, von völlig erstarrtem moralischen Sinn, beschränktem Daseyn; ohne Ueberlegung; ohne irgend eine sittliche Empfindung; in jeder Niedrigkeit kriechend; und von beynahe ganz begriffleerem Kopfe! Mag denn solchen Unglücklichen aus den verworfensten Gründen der Gesellschaft, in Dorfschenken etwa, eine schmähliche Behandlung dieser Art widerfahren: auch hier ist es ohnstreitig ein Uebel und ein Frevel von Seiten derer, die solcher Ausschweifungen sich schuldig machen; allein es läßt sich sagen: daß diejenigen, welche der Gegenstand davon werden, auch weniger empfindlich dagegen sind, und ihrer vielleicht wieder vergessen. Selbst in den Städten werden sich, steigt man in die tiefere Klasse und bis zur letzten Staffel weiblicher Erniedrigung herab, Geschöpfe antreffen lassen, die in einer solchen Schmach nichts weiter als die Verweigerung eines sich schuldig geglaubten Soldes schmerzt. Allein, wenn wir uns zu den Stockwerken der Gesellschaft erheben, wo wir die Menschheit durch eine aufgeklärte Religion, durch zärtere Empfindungen, durch ein auserlesenes Gefühl von Recht und Unrecht, von Schönen und Anständigem, durch eine lebhafte Liebe zu unsern Pflichten, zu unserer Familie, zu unsern Anverwandten; durch Tugenden endlich und Talenten verschönert finden! — eine solche Entwicklung des innern Lebens, Madame, ist das einzige Mittel, das unser Geschlecht zu seiner ganzen Würde erhöht; was das Werk unsres Urhebers vervolllständigt; sie ist der Scheidepunkt, wo es uns verstattet ist, noch zu des Schöpfers Werke hinzuthun! — Ach, Madame, welch ein edles Wesen ist der Mensch, wenn er sich zu diesem Grade intellectueller und moralischer Cultur emporgeschwungen hat! er ist dann die prächtigste und zarteste Blüthe in dem Garten der Schöpfung. Was in einem solchen Wesen Göttliches ist, hat die dichte Erdenhülle, die Rinde, in der es unbekannt blieb, abgestreift; dieser göttliche Grundstoff hat sich entfaltet; und seine Entknospung das ganze Seyn des Wesens mit dem unsterblichen Lichte in Berührung gebracht, und es zu Gott erhoben, der endlich einige Züge seines Bildnisses wiedererkennt! — Und diese Reinheit sich durch eine tempelräuberische Entehrung befleckt denken! — Diese edle Blume vor dem Höllenhauche der Schmach verwelken! und sie die schimpfliche Beute Alles, was es nur Niedriges auf Erden giebt, werden sehen zu müssen! — Die Abscheulichkeit einer solchen Missethat , Madame, ist von allen Völkern gefühlt worden; alle haben begriffen, daß nichts ehr als sie den Sieger verhaßt mache; Alle haben sie verabscheut und geahndet. — Warum geschieht dies nicht bey uns, bey uns, die wir behaupten, das neunzehnte Jahrhundert durch unsere Civilisation zu ehren? Schon der Gesetzgeber der Israeliten wollte, daß weibliche Kriegsgefangene in Ehren gehalten würden; daß, wenn eine davon ihrem Herrn gefiele, sie erst, nachdem sie drey Monate lang ihre Verwandten und Vaterland beweint, seine rechtmäßige Gattin würde: ohne nachher wieder verkauft werden zu können. — Alexander hat sich nicht allein diesem Gesetze ewiger Anständigkeit unterworfen, sondern bestrafte sogar am Leben diejenigen Macedonier seines Heers, welche sich zu solchen Ausscweifungen fortreißen ließen; er schrieb an einen seiner Feldherren einen Brief, den uns Plutarch aufbewahrt hat, und in dem er ihm gebot, zwey solches Verbrechens Schuldige hinrichten zu lassen, »als wilde Thiere,« (sagte der Held,) »die nur zum Verderben der Menschen in Wäldern umherirren.« — Die Sycionter, als sie sich der Stadt Pellenen bemeisterten, hatten der Schaam der Frauenzimmer darin nicht geschont: Aelian, der diesen Umstand erzählt, ruft dabey aus: »Welche Thierheit! o Götter Griechenlands! Selbst die Barbaren, so viel ich weiß, billigen eine solche Unmenschlichkeit nicht.« — Die Strenge der Gesetze Roms über diesen Punkt ist bekannt genug; und Scipio verdankt einen Theil seines schönen Rufes der Sorgfalt, mit der er sie aufrecht zu erhalten suchte. »Es ist meine Pflicht,« (läßt ihm Livius sagen) »und Roms Vortheil erfordert’s daß das, was überall heilig gehalten worden ist, von uns nicht verletzt werde.« — Solche Schonung also, Madame, beobachteten bereits die Alten gegen ihre Feinde — und, ach! ich habe Ihnen beschreiben müssen, (mein Gemählde davon ist nur noch sehr unvollkommen!) wie einer neutralen, von dem Kayser mit Wohlwollen beehrten, mit freyen Menschen bevölkerten Stadt begegnet worden ist! wie wir Bürger, die ihre gesellschaftliche Unabhängigkeit, (diesen Schatz, der sie so viele Opfer, so viele Bemühungen gekostet hat!) und die Tugenden, auf denen diese Unabhängigkeit beruht, für Etwas achten! — wie wir eine, seit so vielen Jahrhunderten gegründete Republik behandelt haben, die dazu beyzutragen, den Norden zu civilisieren, und durch ihren Handel eine Verbindung, einen Austausch von Genüssen und Bedürfnissen zwischen allen Nationen zu bilden! — Ich will keine weitere Betrachtung mehr hinzufügen. Aber — die Seele zerrissen und tief gekränkt, durch Alles, was ich sah: urtheilen Sie, was ich, ein Franke! Dem die Frankenehre theuer ist, der ich die Menschen überhaupt liebe, und Deutschland insbesondere sehr liebe und verehre, was ich für verschiedenartige und mannigfaltige Betrübnisse und Demüthigungen habe erdulden müssen! — Von wie tiefen Unwillen mußte ich nicht ergriffen seyn! Ichm, der ich wünschte, daß der Ruhm meines Vaterlandes rein seyn möchte; ich, der ich alle unsre Zeitgenossen, die Siege desselben segnen hören, und versichert seyn möchte, die Nachkommenschaft werde das Nämliche thun! Seit 1793 hat Nichts so Gehässiges meine Seele und meine Augen betrübt. — Ach, warum werden solche Betrachtungen nicht jedesmal vor den Häuptern der gebildeten Nationen aufgestellt, wenn sie sich anschicken, die Erde zu erschüttern, und den Frieden daraus zu verdammen? Und warum — weh uns! — hält man ihnen nicht ohne Unterlaß den Sinn des horazischen Verses vor:

Quidquid delirant reges plectuntur Achivi!
Was im Gerase die Herrscher versehn, das büßen die Völker!

Freylich! Müssen diese es, nicht allein mit ihrem Blute und ihren Thränen, sondern, durch (was noch schlimmer ist!) ihr Entstittlichung entgelten! — Und jener Gesichtspunkt ist der traurigste von allen: daß die ganze Blüthe einer Nation, daß ihre kräftige Jugend, ihr heranwachsendes Geschlecht, dasjenige, in dem das Leben und die Macht des gesellschaftlichen Körpers besteht, jeder Cultur der Wissenschaften und Künste des Friedens entrissen wird, um sich an die wilde Thätigkeit der Waffen zu gewöhnen, und sich ganz mit dem Grundsatze zu erfüllen: »Alles gehöre dem Stärkeren, und der Sieg gebe ihm ein Recht über jedes Eigenthum!« — Das, Madame, ist die Unglückssaat, die mit ihrem Dorngestrüpp auf lange Zeit die Flur bedecken wird, auf der die Gesellschaft gute Früchte wachsen zu lassen sich bestrebt. Ich habe mit einer Menge unserer Soldaten, mit guten du sonst rechtlichen jungen Leutn gesprochen, die sämmtlich der lebendigsten Ueberzeugung lebten: »die Stadt Lübeck gehöre ihnen mit Allem, was darinnen ist, und man müsse es ihnen noch als eine ausgezeichnete Wilde, aufs Kerbholz schreiben, daß sie selbige nicht ganz verbrannt und verwüstet hätten;« sie konnten gar nicht begreifen, »wie die Einwohner noch zu klagen im Stande wären, da der Soldat sich so mäßig seiner Rechte bedient?« — O, arme menschliche Vernunft! Du schwebst auf der Oberfläche der Erde, zwischen der Hölle und dem Himmel. Wenn die unteren Kräfte sich so treiben! in diese Schmach dich stürzen! o! so verhülle dich in einen Trauerschleyer, und kehre dahin wieder zurück, woher du kamest, bis daß die besänftigten Leidenschaften sich endlich vor dir demüthigen. Hast du nicht schon Feinde genug in Religionswütrichen, Heuchlern und Schriften- und Grundsatzverläumdern? Müssen noch Menschen, die ihr Beruf einem Heldenleben widmet, (wenn dieß nur Vaterland vertheidigt und Recht!) die solche blutende Wunden schlagen? — Verzeihen Sie mir, Madame, diese lange Abschweifung, diesen graunvollen Herzensergruß. — Aber man kann am Ende doch seinem Selbst nicht entsagen! Umsonst will ich blos Geschichtserzähler seyn; die Betrachtungen stellen dem es Wollenden gebieterisch sich in den Weg. Das Vernunften hat man mir oft genug schon zum Vorwurf gemacht; und ich gesteh’s: es ist eine Sünde, von der ich mich nie losreißen werde. —Ich nehme den Faden der Erzählung wieder auf, wo ich ihn ließ:

Von meinen nächtlichen Ausflügen unter diesen Jammerauftritten nach Hause gekommen, setzte ich (da ich doch fühlte, daß kein Schlaf sich meinen Augen nähern könnte) mich in der Frühe nieder, und schreib an dem verehrungswürdigen Prinzen Ponte-Corvo einen Brief, der hier folgt:

Monseigneur! Es sey einem Franken, den Ew. Durchlaucht mit Achtung und Güte aufzunehmen gewürdiget haben, erlaubt, seine Stimme zu Ihnen zu erheben, um Sie anzusprechen, dem Unglücke einer mit Frankreich befreundeten Stadt, ein Ende zu machen; einer Stadt, die bis an diesen Tag voll wahres Bürgesinns, voller Religion und guter Sitten gewesen ist; einer Stadt, deren friedlicher Fleiß allen Nationen, unserer besonders, deren Handel im Norden sie belebt, wichtig ist, und die so wenig! das erschreckliche Schicksal verdient, welches sie eben getroffen hat.« —

»Monseigneur! Die wichtigen Sorgen, die auf Ihnen mit erdrückender Last ruhn, haben vielleicht allen den demüthigen kleinen Umständen der Wahrheit es nicht erlaubt, bis zu Ihnen zu dringen. — Das Herz Ew. Durchlaucht steht allen zarten und mitleidigen Empfindungen offen. Werfen Sie denn Ihre Blicke auf Dasjenige, was in den zwey schreckensvollen Tagen in der Stadt Lübeck und auf ihrem Gebiete vorgeht. Jedes theuerste Sachen- Personen- und Ehreneigenthum ist drin verletzt! Greise, Weiber, Kinder sind erwürgt, Obrigkeiten beschimpft; Bürgern, denen noch das Leben gelassen worden ist, ihre Kleider, ihr Geld entrissen worden; Gatten, denen man dabey das Gewehr auf die Brust gesetzt hat, haben vor ihren Augen ihre Weiber der Zügellosigkeit der Soldaten preisgegeben seyn müssen; zarte, in Sittsamkeit und Ehre erzogene Jungfrauen, die Hoffnung ihrer Familien, sind in Todesängsten von ihren unbekannten Ungeheuern befleckt, und zu bitterer Trübsal verdammt worden, die sie in eine frühe Gruft stürzen wird. — Ich kann Ihnen, Monseigneur, die in manchen Quartieren der Stadt, in gewissen von Ihren und den Blicken der würdigen Anführer der Armee, entfernten Straßen, verübten Unordnungen nicht genugsam schildern. — Wie groß wird der Schmerz Ew. Durchlaucht seyn, wenn Sie ihr ganzes Schreckniß erfahren werden? Wie groß der des Kaysers, der doch gewollt hat, daß seine Heere befreundete und ihm gewidmete Städte beschützen sollten!« —

»Ich werfe mich demnach Ew. Durchlaucht zu Füßen, um Sie anzuflehen, nicht, unersetzlich Uebel wieder gut zu machen, sondern diejenigen die noch sich zutragen können, und deren jeder Augenblick neue entstehen sieht, zuvorzukommen. Ich habe nicht die Vermessenheit, Ihre Weisheit aufklären zu wollen; allein ich denke, daß eine feyerliche im Namen der drey Marschälle ergehende Proclamation in der an die Soldaten erklärt würde, daß, da der Feind gänzlich besiegt, da der Friede auf dieß Frankreich befreundete Gebiet wieder zurückgekehrt sey, jede Ausschweifung augenblicklich darauf aufhören müsse, einige gute Wirkung hervorbringen dürfte. —

»Für die Zukunft also wenigstens entferne sich das Schrecken von uns; die Ehre des französischen Namens erscheine wieder mit der Ordnung; und mögen so viele Unglückliche mindestens von nun an, ruhig die Last des Elends tragen, das sie, während der beyden entsetzlichen Tage, die die Geschichte der neuern Zeiten aufzuweisen vermag, niedergeschmettert hat.«

»Ich bin u. s. w. «

Madame R**, eben so gerührt als ich, über Alles was vorging, übernahm es, diesen Brief dem Marschall einzuhändigen. Mit verweinten Augen überreichte sie ihm denselben, so bald er Morgens sichtbar war, und begleitete ihn mit ihren rührenden Bitten. Dem Prinzen waren in der That diese Unordnungen unbekannt geblieben; er verhehlte es Madame R*** nicht: wie sehr sie ihn angriffen und empörten. Das Resultat dieses Schrittes war denn ein sehr strenger Tages-Befehl an das erste Corps, der auch eine heilsame Wirkung that. Die Disciplinarveranstaltungen dieses Befehls wurden nur der Armee des Prinzen bekannt, allein folgender — der dritte Artikel daraus — ausgezogen, gedruckt und überall angeschlagen. Er lautete so:

»Die Einwohner Lübecks und seines Gebietes werden unter den Schutz seiner Majestät des Kayser-Königes genommen; jeder Soldat, der ihre Ruhe stört, wird demnach als Verbrecher angesehen werden.«

»Der Marschall, Prinz Ponte-Corvo, erinnert die Truppen des ersten Corps daran, daß Lübeck, ob es gleich im Sturm eingenommen worden, gleichwohl nicht als eine feindliche Stadt betrachtet werden darf, und daß der französische Soldat, weit entfernt, sich als wilder Sieger zu betragen, nach dem Siege mitleidig und menschlich seyn muß!«

Dies geschah Sonnabends, den 8ten Morgens. Gegen Mittag begab ich mich zu S.K.H. dem Großherzog von Berg, ihm meine Ehrfurcht zu bezeugen. Der Prinz empfing mich mit der vollkommenen Grazie und Leutseligkeit, welche Sie an ihm kennen, Madame. Dieser günstige Empfang gab mir den Muth, freymüthig zu ihm zu reden. Wir, vom Nationalinstitut, sagte ich, glauben uns berufen, die Priester der Wahrheit zu seyn, um sie vor die Fürsten zu bringen. Darauf mahlte ich ihm in wenig Worten das allgemeine Unglück, und flehte ihn an, demselben ein Ziel zu setzen. Der Prinz bezeugte mir die größte Rührung über das was er vernahm, versicherte mich, diese Gräuel, die unausweichlichen Folgen des Krieges, seyen ihm verhaßt, und er werde sogleich sein Ansehn anwenden, damit sie aufhörten. Ich empfahl mich, nachdem er die Gnade gehabt hatte mich einzuladen, ihn zu Paris wieder zu besuchen. Von da ging ich dem Marschall Soult meine Aufwartung zu machen, welcher abwesend war, und zu welchem ich während seines kurzen Aufenthaltes hier, nicht kommen konnte.

Dieser Sonnabend und die darauf folgende Nacht, waren gleichwohl nicht viel weniger stürmisch und trübsalvoll als die beyden vorhergehenden. Ich will Sie nicht weiter, Madame, mit der Erzählung so vieles Elendes und besonderer Unthaten ermüden. Haufen von Gefangenen, von Corps, die die Tage des 6ten und 7ten unter freyen Himmel zugebracht hatten, kamen in die Stadt und vermehrten das Gedräng und die Verwirrung darin; zerstreuten sich und hielten noch Nachlese bey den schon ausgeplünderten Einwohnern. Es gelang den Anführern nicht eher als am 9ten November Sonntags, ein wenig die Ordnung herzustellen; und doch war auch noch dieserTag, so wie einige der folgenden, Zeuge von mehr als einer Gewaltthätigkeit, vornemlich im Augenblicke des Abmarsches der verschiedenen Corps. Das Herz wollte einem über die Nachrichten, welche die vom Lande hereinkommenden und sch in die Stadt wagenden Bauern mitbrachten, brechen; und die Mißhandlungen, welche diese armen Menschen von den leichten Truppen und der bey ihnen einquartirten Cavallerie erfahren hatten, waren noch vielleicht schlimmer als die Unordnungen in der Stadt gewesen, in der man doch noch wenigstens Möglichkeit vor sich sah, Hülfe und Schutz zu erlangen. Besonders haben verschiedene Landprediger erschrecklich zu leiden gehabt. Ihr Geld, ihr Hausgeräth, ihre Weiber, ihre Töchter, Nichts ist verschont worden; von ihnen empfangener Schläge und persönlicher Beleidigungen, die vorgefallen, gar nicht einmal zu erwähnen. Dasselbe widerfuhr den Häusern der Gärtner, und der unsern der Stadtthore gewissermaßen Vorstädte bildenden Wohnungen der Wäscher. Aus letzterer Häusern ist alle sich dort befindende Wäsche und alles Leinenzeug weggeschleppt worden; verschiedene Familien in der Stadt haben auf diese Weise alles das ihrige verloren.

Diese immer sehr wirklichen Verluste sind unterdessen, Madame, noch wiet entfernt, an die, allen Begriff übersteigende Summe zu reichen, welche nachher die ungeheuren Requisitionen jeder Art, für den Unterhalt, die Nahrung, die Kleidung, den Transport der Truppen und Munitionen, für die Tafel der Generale, Officiere,Kriegscommissarien u. s. w. ferner die Versorgung von zehn Hospitälern, welche sogleich eingerichtet werden mußten, und in denen die Verwundeten und Kranken mit der zärtlichsten Sorgfalt verpflegt worden sind, gekostet haben und noch täglich kosten; die große Zahl französischer sowohl als preussischer, in den Häusern einzelner Einwohner vertheilt gewordenen Officiere, hier nicht einmal in Anschlag zu bringen. Ich schätze die Masse des Schadens, den die Stadt und ihr kleines Gebiet bisher ertragen hat, sicherlich zu niedrig, wenn ich ihn, nach den besten mir darüber zugekommenen Nachrichten, auf eine Summe von zwölf Millionen Franks ansetze; wodurch alles baare Geld völlig erschöpft worden ist. — Fügen Sie dazu noch, Madame, den gesunkenen Credit, die von auswärtig nicht einkommenden Activschuldensummen; die ganze im Handel hervorgebrachte Stockung, da die beyden Schwesterstädte von Lübeck, Hamburg und Bremen, die auch im Besitz genommen worden sind, sich außer Stande gesehn, die Hülfe fortzusetzen, die sie so edelmüthig darzubieten angefangen hatten; die Dürftigkeit, in welche die arbeitende Klasse unter uns verfallen ist; — daß diejenige, die nur von der Thätigkeit der Geschäfte ihres Betriebes lebt, jetzt keinen Ausweg vor sich erblickt und ohne Brodt ist; daß die Armen keinen Zufluchtsort mehr haben, weil in Einer Stunde die Hospitäler der Stadt geräumt, die Gebrechlichen, Kranken und Sterbenden auf die Straße geschafft, und in Oberböden aufgestapelt werden mußten; so werden Sie einen Begriff von dem Abrunde des Elendes haben, in welchen diese noch vor Kurzem so blühende Stadt gekürzt worden ist.

Noch ein unglücklicher Umstand hat sich nachher ereignet. Der Prinz Bernadotte, aus Rücksicht auf den Jammer der Stadt, hatte zwey preussische Fahrzeuge, die Mehl führten, ausliefern lassen, damit deren Ladung zur Zehrung für die Truppen dienen möchte. Kaum war er abgereist, als ohne Barmherzigkeit, diese beyden Fahrzeuge der Stadt wieder weggenommen worden sind. Sicherlich stammt ein so wenig menschlicher Befehl weder vom Kayser noch vom Prinzen her. —

Ich habe Ihnen jetzt erzählt, Madame, welches furchtbare Unglück dieses sanfte und ernsthafte Völkchen getroffen hat, das eine dauernde und bittere Erinnerung daran, vielleicht eine lange Reihe von Jahren behalten wird. Mehr als hundert Personen, die bisher ins Grab gestürzt worden sind; Einwohner jedes Alters und Geschlechts, sowohl diejenigen, so auf der Stelle umgekommen, als auch die, so an den Folgen der empfangenen Stöße, Schläge, Mißhandlungen, Gewaltthätigkeiten, gestorben sind. — Das mag wohl eine decimirte Stadt genannt werden können! — Andre noch haben den Verstand verloren; noch Anderer Gesundheit ist unwiederbringlich dahin; so, daß jene früher, diese später darauf gehen werden! »Gestorben an dem, was er den 6ten November erlitten« berichten uns noch häufig die langen Trauerlisten der Lübeckischen Fama. An eben diesen Folgen werden ihrer noch Manche von hierab bis zehn Jahre hinaus, umkommen. Das Schrecken hat auf die meisten Leibesbeschaffenheiten verderbliche Einflüsse gehabt und Zerstörungskeime in ihnen zurückgelassen. Das zärtliche Leben der Gattinnen, der Mütter, der Kinder, ist in seinem Grundstoffe angegriffen. Es giebt wenig Familien, die nicht einen Verlust zu beweinen, oder bald einen zu besorgen hätten. Alle Herzen, die zu empfinden vermögen, sind erdrückt. Meine Seele hat Trübsinn vergiftet.

Ach unser erhabenes Staatshaupt weiß nichts von diesen Trauerumständen; wüßte, der Kayser sie, er würde Vergütung, eine Entschädigung verordnen. — — Er würde vor Allem befehlen, die unglückliche Stadt von nun an zu schonen . Es ist eine in Deutschland und in Frankreich fast allgemein verbreitete Meynung gewesen, der Kayser würde etwas thun, Lübeck für ein so wenig verdientes Unglück schadlos zu halten. Wer, in der That, könnte dies auch nicht von der mächtigen Hand erwarten, die mitten aus den Trümmern, womit Frankreichs Boden bedeckt war, das blühendste Reich, das prächtigste gesellschaftliche Gebäude hat hervorgehen lassen! — — Und wer würde geschickter als Sie, Madame, dazu seyn, so schöne Bewegungsgründe gelten zu machen, und das Werkzeug der Wohlthätigkeit zu werden? Dieß ist ein Beruf, zu dem die Natur, als sie Sie so durchaus gut bildete, als sie Sie so durchaus gut bildete, schon damals bestimmte, als das Schicksal Sie noch nicht dem Stufen des mächtigsten Thrones der Erde nahe gebracht. — Was mich betrifft, den auf einige Zeit, durch diese schreckliche Erschütterung, seiner Einsamkeit und seinen Büchern Entrissenen, ich werde, nachdem ich zu einigen neuen Erfahrungen sowohl über die äußerste Verderbtheit als den höchsten Adel des menschlichen Herzens gelangt bin, zu dem betrachtenden und abgeschiedenen Leben wieder zurückkehren, das meine Gattung von Geistesbeschäftigung erfordert; ohne einen andern Wunsch des Ehrgeizes als den: Frieden, die gereinigte Religion, die Cultur der Wissenschaften in Europa herrschen zu sehn; und ohne anderes Verlangen, als der fortgesetzten Hochachtung meiner Freunde und kleinen Anzahl von Personen, die Ihnen ähnlich sind, mich zu erfreun.

Ich bin mit einer Ehrerbietung und Ergebenheit ohne Gränzen,

Madame, Ihr, u.s.w

Lübeck,

den 15. Dec. 1806.

Villers,
ehemaliger Artillerie-Capitain;
Correspondent des französischen Na-
tionalinstituts u.s.w.