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Das Goldmacherdorf

23. Die Schulden müssen getilgt werden.

Der Oswald hatte jetzt gar viel zu schaffen. Keiner wußte, was er trieb. Bald lief er in allen Feldern herum, bald tagelang in den Wäldern, bald wieder in die Stadt.

»Ach, du armer Oswald!« seufzte Elsbeth, wenn sie ihm am Abend vor dem Dorfe entgegenging und ihn mitleidig bewillkommte: »Warum kümmerst du dich so sehr, armer Oswald, und plagest dich? Du wirst am Ende doch nur Undank und Verdruß von aller deiner Mühe haben.«

Oswald sprach: »Undank ist die Münze, womit das Volk am liebsten zahlt. Wer aber einer Gemeinde vorsteht, der soll an seinen Gott und seine Pflichten denken, nicht aber auf Lohn und Dank. Siehst du, liebes Herz, Gott lohnt endlich auch gewiß alles Gute, gleich wie er Böses straft.«

So redete Oswald, und that, was er sollte.

Es ergab sich aber, daß die Gemeinde noch über sechstausend Gulden schuldig war, theils von den Zeiten des Krieges und der Theurung her, theils durch die schlechte Haushaltung der ehemaligen Vorgesetzten. ? Und Oswald sann Tag und Nacht, wie er diese Last von dem armen Goldenthal nehmen, oder doch vermindern könne. Und als sein Plan endlich reif war, legte er ihn seinen Amtsgenossen vor; die hießen ihn nach langer Berathschlagung gut, und sprachen: »Wollte Gott, die Schulden wären abgethan, so wüßte doch auch Jeder wieder, was er Eigenes hätte, und könnte frei athmen, und müßte nicht fort und fort an das Zinsen denken.«

Darauf ward eine Besichtigung und Schätzung aller liegenden Gründe der Ortsbürger angeordnet, damit man ungefähr wisse, wie arm oder reich Jedermann sei; und damit Jeder auf gerechte Weise in Zukunft wegen der Steuer angelegt werden könne. Und Jeder mußte bei den Gemeindevorstehern angeben und beweisen, wie viel Schulden er auf Haus und Gütern stehen habe; und das ward treulich in ein Buch eingetragen und darnach Jedermann geschätzt.

Dann trat Oswald am Sonntage nach der Kirche mit seinen zween Beisitzern vor die versammelte Gemeinde und sprach: »Ihr Männer, liebe Mitbürger, unser Dorf hat sechstausend vierhundert Gulden Schulden. Das Geld haben wir theils in den benachbarten Städten zu verzinsen, theils sind wir es hier im Dorfe uns selber für Heu, Haber, Fuhren und Requisitionen schuldig. Was wir auswärts zu zahlen haben, wollen wir ein andermal besprechen. Jetzt wollen wir abthun, was sich die Gemeinde selber schuldig geworden ist.«

»Viele von uns haben an der Gemeinde noch beträchtlich für Stroh, Haber und andere Lieferungen aus dem letzten Kriege zu fordern. Man verzinset ihnen zwar jährlich, aber sie müssen doch allemal erst ihren Beitrag zur allgemeinen Zinssumme geben. Also verzinsen sich im Grunde Viele nur ihre Sache selber. Das ist mühsam und thöricht. Nun haben wir diese Schuld auf alle Bürger, nach Maßgabe ihres Vermögens, vertheilt. Den Reichen trifft davon mehr, den Armen weniger. So wird die Gemeindschuld in eine Partikularschuld verwandelt. Wer auf diese Art so viel schuldig wird, als er selber zu fordern hat, der streicht Schuld und Forderung, und ist frei, bekommt und zahlt keinen Zins mehr. Wer mehr zu fordern hat, als er durch die Eintheilung schuldig wird, streicht erst so viel von seiner Schuld weg, als ihm die Gemeinde selbst schuldig ist, und sagt: »Wer zahlt mir den Ueberschuß dessen, was mir herausgebührt? ? Antwort: Diejenigen zahlen ihn, die nichts an die Gemeinde geliefert haben im Kriege. Diese sind als Schuldner an die Zuguthaber vertheilt, und tragen denselben entweder die kleine Summe, die sie trifft, gleich baar ab, oder verzinsen solche zu Vier vom Hundert.«

So redete Oswald. Viele verstanden es anfangs nicht recht. Da sie aber einsahen, daß dabei Keiner zu kurz kam, waren sie es sehr zufrieden. Denn die Reichen, welche am meisten zu fordern hatten, die hatten auch nach Maßgabe mehr an Abtragung der Gemeindsschuld zu zahlen. So blieb für die Aermern weniger zu entrichten übrig, und Jeder fand die Einrichtung darum billig, weil die Schatzung der Güter und des Vermögens sehr unparteiisch gemacht war.

Am Sonntage darauf ward die Gemeinde abermals versammelt, und Oswald redete also: »Ihr Männer, liebe Mitbürger, es ist uns gelungen, das Geld, was die Gemeinde schuldig ist, in benachbarten Städten zu geringerm Zins zu erhalten, also, daß Goldenthal jährlich nur zweihundert und zwanzig Gulden Zins zu entrichten hat. Aber es wird manchem Hausvater schwer fallen, den Beitrag zu diesem Zins zu erschwingen aus seinem Gut. Daher ist es besser, es zahle Keiner von euch den Zinsbetrag aus seinem Gut!«

Da erhoben alle Goldenthaler ein Gelächter, und sie riefen: »Das läßt sich hören und gefällt uns über die Maßen.«

Oswald erhob die Stimme und redete weiter: »Ihr Männer, liebe Mitbürger, wir haben noch ein großes Stück Gemeinweide. Das ist elendes Land, vom Vieh zertreten, mit alten einzelnen Eichen darauf. Jeder von euch, dem dies Land gehörte, würde es besser benutzen. Aber wer benutzt es jetzt? ? Niemand. Denn die Reichen, welche viel Vieh haben und es im Sommer darauf weiden lassen, haben offenbaren Schaden daran. Nicht nur kommen ihre Kühe magerer und hungriger Abends heim, als sie des Morgens hinausgingen, sondern es geht auch für die Aecker aller Dünger vom Vieh dabei verloren. Die Armen aber, die keine Kuh halten können, haben gar keinen Nutzen davon, und müssen ihn den Reichen überlassen. Ist das billig? Warum sollen reiche Bürger mehr Vortheil vom Eigenthum der Gemeinde haben, als arme? Sind wir nicht allesammt Goldenthaler? Hat Einer nicht so viel Recht, wie der Andere? Wer hat denn den Reichen den Nutzen des Gemeinlandes allein gegeben? ? Wenn die Armen ein Stück Feld davon hätten, und könnten Klee oder andere Grasarten darauf bauen, so hätten sie für ihre Ziegen und Schafe doppelt so viel und gesünderes, nahrhafteres Futter, als jetzt. Also ist unser Rath, daß wir das Gemeinland in gleiche Theile unter die Bürger verteilen, daß Jeder seinen Theil davon benutzen könne, wie er wolle. Das Land aber bleibt ewiges Eigenthum der Gemeinde; Jeglicher empfängt seinen Antheil nur in Pacht, und kann ihn weder verkaufen, noch verleihen, noch vererben, noch sonst veräußern; sondern derselbe fällt jedesmal nach des Besatzers Tode an die Gemeinde zurück. Diese gibt ihn dann an einen jungen Bürger, der eigene Haushaltung führt und noch ohne Gemeinland ist. Jeder zahlt jährlich einen geringen Pachtzins von seinem Stück, und damit wird der Zins von der Gemeindsschuld abgetragen. Also zahlt Niemand diesen Zins aus seinem eigenen Gut, sondern aus dem, was er von der Gemeinde zum Lehen hat.«

Nachdem Oswald geredet hatte, entstand großes Nachdenken im Volk, Gemurmel, Streit, Wortwechsel. Geschrei und Lärmen, als wäre Mord und Todtschlag. Denn die reichen Bauern, welche das Weidland bisher ausschließlich mit ihrem Vieh benutzt hatten, wollten die Theilung nicht zugeben, schrien über Ungerechtigkeit und drohten mit der Regierung. Andere sagten: »Wir sehen wohl, man will die Lumpen reich machen, und die Ehrenleute im Dorfe zu Lumpen. Wer Vieh hat, der kann es zur Weide schicken; das ist eine alte Rechtsame, die von den Vätern vererbt ist, und die lassen wir uns nicht nehmen!«

Doch die Mehrheit der Bauern, die nicht reich waren, oder die ihr Vieh, um mehr Dünger zu gewinnen, im Stall fütterten, setzte es durch und hob den Weidgang auf. Alsbald mußte ein Feldmesser kommen, alles Gemeinland in so viel Theile, als Haushaltungen waren, vertheilen, und dann wurden die Stücke verlooset. Die reichen Bauern gingen jammernd und klagend vor die Regierung und beschwerten sich wegen der Bedrückung ihrer Rechtsame. Die Regierung aber gab folgenden Bescheid: »Das Gemeinland ist eine Rechtsame der Bürger und nicht der Kühe von Goldenthal. Also kann jeder Bürger das Gemeinland oder seinen Theil benutzen wie er will. Ihr Herren aber vertheidiget nicht eure alten Rechtsame, sondern euern von Alter stinkenden Eigennutz, und verstehet noch dazu euern Vortheil schlecht. Derohalben bleibt von nun an der Weidgang aufgehoben. Damit packet euch, ihr Esel, und ziehet hin in Frieden!«

Die reichen Bauern bedankten sich für den gnädigen Bescheid, und zogen heim. Nun erst bedauerten sie den Löwenwirth Brenzel im Zuchthause, und sagten: »Er war doch bei allen seinen Fehlern ein braver Mann; er hielt auf alte Gerechtigkeiten und Herkommen; unter ihm wäre so etwas nie geschehen. Der Oswald ist ein Franzos, ein Jakobiner, ein Neuerer, ein Bonapartler und dergleichen.«