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Das Goldmacherdorf

26. Es ist noch viel Noth im Dorfe.

Das ganze Land konnte sich nicht genug über die Goldenthaler verwundern. Denn der Wohlstand der Leute nahm sichtlich zu. Nicht nur das Dorf hatte keine Schulden, sondern Leute, die sonst tief darin steckten, trugen nach und nach ihre kleinen Kapitale ab. Jedermann in der Stadt, welcher Geld austhun wollte, lieh den Goldenthalern am liebsten; denn Jedermann wußte, die Ortsvorgesetzten waren bei Schätzung der Unterpfänder sehr gewissenhaft, und kannten haargenau, wie viel Schuld auf einem Stück Landes haftete. Das war nicht so in andern Gemeinden, darum hatten die Goldenthaler überall den Vorzug und das Ansehen. Und wenn einmal ein Bettler kam, und sagte, er sei aus Goldenthal, so sprach man: »Pfui, schämst du dich nicht zu betteln, und du bist aus Goldenthal?« Man bildete sich ein, im Goldmacherdorf wären gar keine bettelarmen Leute.

Darin aber irrte man sich sehr. Denn in diesem neuaufblühenden Dorfe war noch immer ein ansehnlicher Bodensatz ans der alten Zeit. Da lebten einige verlumpte Familien, die nicht zu bessern waren, der Herr Pfarrer mochte mit ihnen reden, oder die Obrigkeit drohen, wie sie wollte. Da lebten Leute, die lieber müßig gehen, hungern und betteln wollten, als im Schweiß ihres Angesichts das saure Brod verdienen. Da lebten Leute, die sogar ihre Kinder zum Bettel- und Diebshandwerk abrichteten, und sie Abends abprügelten, wenn sie nicht genug gesammelt hatten. Da lebten Leute, die immer wieder das, was sie entweder verdient, oder als Almosen bekommen hatten, für Wein, Branntewein und allerlei Nasch- und Leckerwaare hingaben. Man hatte auch keine Hoffnung, daß die Menschen endlich einmal aussterben würden. Umgekehrt, sie vermehrten sich mit dem Wohlstande der Goldenthaler. Denn sie verheirateten sich unter einander und setzten Kinder in die Welt, ohne sich darum zu bekümmern, wie sie sich und ihre Kinder ernähren möchten. Die Lumpen sagten nur: »Die Gemeinde hat ein Armengut, das gehört uns an; und es ist die Schuldigkeit der Gemeinde, sie muß uns erhalten, sie mag wollen oder nicht. Verstoßen oder verhungern lassen, darf sie uns doch nicht.«

Dem guten Herrn Pfarrer Roderich gingen diese frechen Redensarten des Gesindels besonders zu Herzen. Und er sagte vielmals zu den Vorstehern: »Arbeitet, wie ihr wollet: so lange ihr noch die Beispiele der Faulheit, Ueppigkeit und Liederlichkeit, die Pflanzschule alles Lasters, im Dorfe habet, so lange kommt die Gemeinde auf keinen grünen Zweig. Denn was rechtschaffene Haushaltungen verdienen, davon zehren die Müßiggänger auch mit. Diese vermindern immerdar das Vermögen der Andern, und verführen durch ihre Schlechtigkeit andere Leute zur Schlechtigkeit.«

Die Ortsvorgesetzten sahen dies so gut ein, wie der Herr Pfarrer. Aber wie sollte man dem muthwilligen Bettel und Müßiggang abhelfen? Das war der Knoten! ? Im Dorfe befand sich zwar eine Art Armenhaus, welches man das Spital hieß, allein es war für die Menge der Bettelschaft zu klein; darum kamen Viele nicht hinein. Und man mußte sich scheuen, Menschen hinein zu thun. Der Herr Pfarrer ging oft in das sogenannt Spital, und hoffte die Leute darin zu bessern, ? aber hoffte vergebens. Hier wohnten Alt und Jung: Männer, Weiber, die sonst kein eigenes Obdach mehr hatten, elend beisammen. Das Haus war, wie der Herr Pfarrer oft sagte, eine wahre Mördergrube der Seelen. Denn die Kinder sahen und hörten da von den Alten viele schändliche Sachen. Das Beisammensein von Personen beiderlei Geschlechts und von den schlechtesten Sitten gab zu vielen Ausschweifungen Anlaß. Das Land, welches zum Spital gehörte, war immer am unordentlichsten besorgt, und Oswald hatte große Mühe, im Hause selbst nur mehr äußerliche Reinlichkeit herzustellen. Aber wie sehr er auch den Kopf anstrengte, er konnte nichts ersinnen, dies zusammengepackte, müßige, lüderliche Gesindel zu ändern, und er glaubte zuletzt selbst, das sei nun einmal leider ein notwendiges Uebel.

Hingegen der Herr Pfarrer hatte keine Ruhe, und wollte nicht Zeuge so vielen Sittenverderbnisses in seiner Gemeinde sein. Er war aber ein kluger Herr, der sich nicht geradezu in Gemeindsangelegenheiten mischte, weil er, um heilsam zu wirken, mit allen Bewohnern des Dorfes in Freundschaft bleiben wollte. Er gab hin und her einen guten Rath, warf einen guten Gedanken hin, und freute sich, wenn er von diesem oder jenem Vorsteher aufgefaßt wurde. Dann that er gar nicht, als wenn das von ihm herrühre; sondern er ließ den Vorgesetzten die Ehre, von selbst den rechten Weg gefunden zu haben. Das schmeichelte diesen und sie verfolgten den rechten Weg um so williger. Pfarrer Roderich meinte auch: es sei recht, daß die Ortsvorgesetzten bei der Gemeinde in höchster Achtung ständen; und es schade ihrem Ansehen, wenn es hieße, sie ließen sich vom Herrn Pfarrer gängeln und lenken. Das sollte nicht sein. Auf solche Weise wirkte der weise Mann im Stillen, ohne eigenen Ruhm, und mehr als selbst die Wenigen wußten oder glaubten, auf die er wirkte. Und wenn auch nicht Alles so geschah, wie er wohl gewünscht hätte, ward er deshalb doch nicht mißvergnügt, und zog die Hand nie von der guten Sache zurück. Denn er war bescheiden genug zu glauben, daß andere Leute ebenfalls Verstand von Gott und vielleicht in vielen Dingen bessere Erfahrung und Kenntniß hätten, als er. Jedes Nützliche belobte er ungemein; das gab großen Muth und Freudigkeit. Und wo man begriff, daß gefehlt worden sei, entschuldigte er freundlich den Irrthum; das gab wieder Trost und richtete die Verdrossenen auf.

»Das kann nicht länger so gehen mit unsern Gemeindsarmen und müßigen Bettlern!« sagte eines Tages Oswald zum Pfarrer Roderich: »Aber ich weiß keinen guten Rath zu schaffen. Diese Erb-Bettler sind für eine ehrsame Gemeinde, was die Filzläuse für einen Menschenkörper sind: eine Plage, eine Schande; und das Ungeziefer sauget Blut, Saft und Kraft aus, daß man nicht geneset. Ich habe ein Grausen, so oft ich unser Spital erblicke. Die Verwaltung kostet so viel und taugt offenbar nichts, und ist nur eine Plage und Schande und Lüderlichkeit.«

Pfarrer Roderich antwortete und sprach: »Ihr habet mir endlich aus der Seele gesprochen, Oswald. Hätte die Gemeinde kein Spital, so hätte sie auch keine Bewohner desselben. Die meisten Bettler und Müßiggänger wird man allezeit in denjenigen Orten finden, in denen das meiste Armengut angehäuft ist, und wo man die meisten Almosen austheilt.«

Oswald versetzte darauf: »Ich habe freilich schon daran gedacht, das Spital abzuschaffen. Aber damit ist nichts gebessert. Es wird in den besteingerichteten Gemeinden immerdar Arme geben und Taugenichtse. Wohin mit diesen? ? Ich habe in andern Gemeinden gesehen, daß man die dortigen Armen bei den vermöglichen Bauern umherziehen läßt in die Runde, oder eine Woche lang von einer bestimmten Haushaltung Kost oder vielleicht auch den Stall zum Schlafen erhält. Das ist gegen Alte und Kranke oft unmenschlich, und für die Arbeitsfähigen Bestätigung im Müßiggang, seelen- und sittengefährlich. Ich habe wieder in andern Gemeinden, die den Bettel abschafften, gesehen, daß sie ihre Bettler auf Unkosten der Gemeinde bei gewissen Leuten verkostgeldeten. Man übergab dann die Verpflegung des Gesindels denjenigen, die am wenigsten dafür forderten. Das waren nun wieder höchst arme Leute, die damit ein Stückchen Geld verdienen wollten, und in so ruchloser Gesellschaft ganz verdarben. Dabei hatte die Gemeinde gar keinen Nutzen, sondern Schaden, denn die Bettler besserten sich nicht und steckten Andere mit ihrer Liederlichkeit an, bei denen sie wohnten. ? Ja, Herr Pfarrer, und Blut weinen möchte ich, wenn ich zumal an arme, verwaisete Kinder denke, welche auf diese Weise durch die Gemeinden versteigerungsweise in Verpflegung an den Wenigstnehmenden gegeben worden sind. Ich weiß, wie man in den theuern Zeiten für solche Kinder das Geld nahm, aber sie hungern ließ; und wenn die armen Würmer jammerten und vor Hunger schrien, wie man sie mit Ruthen gestrichen hat, um sie zum Schweigen zu bringen, damit die Leute es nicht vernehmen sollten. Ich weiß, wie einst der Leichnam eines solchen Kindes geöffnet wurde, fand sich im Magen nichts als etwas Gras und Wasser, und der Rücken und die Lenden waren blutrünstig. Wahrlich, wahrlich, es ist unter Türken und Heiden mehr Barmherzigkeit, als bei unsern rohen Bauersleuten oft gefunden wird.«

»Ich weiß auch gar wohl,« fuhr Oswald fort, »daß die Vorsteher in vielen Gemeinden an Errichtung von Armenhäusern und Spitälern dachten, worein sie ihre Bedürftigen thun wollten. Das geschah aber nicht aus wahrer Menschlichkeit; sondern die hartherzigen, bequemen Vorsteher wollten sich damit nur die Mühe erleichtern und die Plage abschaffen, immer an die armen Leute denken zu müssen. Denn der Stolz der Vorsteher liebt zwar im Dorfe die Würde, aber erleichtert sich auf ehr- und gottvergessene Weise die Bürde, wie es gehen mag!«

So sprach Oswald. Der Herr Pfarrer freute sich über des Vorstehers gründliche Kenntniß der Dinge und sprach: »Ich habe über diesen höchstwichtigen Gegenstand meine Gedanken einmal schriftlich verfaßt; leset doch diese Blätter. Es sind viele unreife Gedanken darin; aber ändert und bessert oder verwerfet Alles, was Ihr wollet.«

Oswald nahm des Pfarrers Schrift zu sich. Er las sie mehrmals durch. Er sprach darüber mit den Beisitzern. Er ging zum Pfarrer und machte ihm allerlei Einwürfe, hörte dessen Antworten und berieth sich wieder mit den Beisitzern. Endlich verstand er sich mit dem Herrn Pfarrer über einen Plan zur bessern Versorgung der Armen im Dorfe. Dann versammelte er die achtbarsten Männer der Gemeinde, zog auch diese zu Rath und hörte ihre Einwendungen. Da ward wieder allerlei abgeändert und wieder verbessert.