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Das Abenteuer der Neujahrsnacht

6.

»Es ist hohe Zeit, daß du wieder Nachtwächter wirst, Philipp!« dachte Philipp bei sich selber. »Du verwickelst dich und deinen Substitut in gottlose Händel, aus denen dich und ihn weder seine noch meine Klugheit rettet. – Das also wäre der Unterschied zwischen einem Nachtwächter und einem Prinzen? Dafür wend' ich keine Hand um. Lieber Himmel, wieviel tolle Dinge geschehen bei den Erdengöttern hier unterm Hofhimmel, wovon wir uns bei Nachtwächterhorn und Webstuhl, bei Spaten und Leisten nichts träumen lassen! Man bildet sich ein, die Götter führen ein Leben wie die Engel, ohne Sünde, ohne Sorgen. Saubere Wirtschaft! Ich habe in einer Viertelstunde hier mehr Bübereien gutzumachen, als ich in meinem ganzen Leben begangen habe.«

»So einsam, mein Prinz?« flüsterte hinter ihm eine Stimme. »Ich preise mich glücklich, Ihre Königliche Hoheit einen Augenblick allein zu treffen.«

Philipp sah sich um. Es war ein Bergknappe in Gold und Seiden und Juwelen. – »Was wollen Sie?« fragte Philipp.

»Nur einen Augenblick gnädigstes Gehör!« antwortete der Knappe. »Es ist dringend, das Resultat Ihnen vielleicht lieb.«

»Wer sind Sie denn, Maske, wenn ich fragen darf?«

»Graf Bodenlos, der Finanzminister, Ihrer Königlichen Hoheit zu dienen!« versetzte der Knappe und lüpfte die Larve, um ein Gesicht zu zeigen, das mit den kleinen Augen und der großen kupferroten Nase eine neue Larve zu sein schien.

»Nun, Herr Graf, was steht zu Befehl?« fragte Philipp weiter.

»Darf ich freimütig reden? Ich ließ mich schon dreimal bei Ihrer Königlichen Hoheit melden und genoß nicht die Gnade, vorgelassen zu werden. Und doch – Gott ist Zeuge! – nimmt am ganzen Hofe niemand an Ihrer Königlichen Hoheit Wohl und Weh so lebhaften Anteil als ich.«»Herr Graf, ich bin Ihnen verbunden!« versetzte Philipp. »Aber was wollen Sie? Machen Sie's kurz.«

»Darf ich vom Handelshaus Abraham Levi reden?« fragte der Bergknappe.

»Soviel Sie wollen.«

»Es hat sich an mich wegen der fünfzigtausend Gulden gewendet, die Sie ihm schuldig geworden sind. Es droht, sich an den König zu wenden. Und Sie wissen, welches Wort Sie dem König gaben, als er Ihre letzten Schulden zu zahlen befahl?«

»Können die Leute nicht warten?« fragte Philipp.

»So wenig als die Gebrüder Goldschmidt warten wollen, die an Ihnen fünfundsiebenzigtausend Gulden fordern.«

»Mir gleich. Wenn die Menschen nicht warten wollen, so muß ich ...«

»Keine verzweifelten Entschlüsse, gnädigster Herr! Ich bin imstande, alles wieder ins Geleise zu bringen, wenn ...«

»Was denn, wenn?«

»Wenn Sie mir Ihre Gnade schenken, wenn Sie mich nur einen Augenblick anzuhören geruhen. Ich hoffe, alle Ihre Schulden ohne Mühe zu decken. Das Haus Abraham Levi hat ungeheure Aufkäufe von Getreide veranstaltet, so daß dasselbe sehr im Preis gestiegen ist. Ein Verbot der Kornausfuhr gegen die benachbarten Staaten wird den Preis um das Doppelte und Dreifache in die Höhe schnellen. Dann gibt man dem Abraham Levi Lizenzen, und alles ist in der Ordnung. Das Haus streicht die Schulden, übernimmt für Sie die Zahlung der fünfundsiebenzigtausend, und ich überreiche Ihnen die Quittungen. Alles aber hängt von dem Umstande ab, daß ich noch einige Jahre an der Spitze der Finanzen bleibe. Gelingt es dem Baron Greifensack, mich aus dem Ministerium zu verdrängen, so bin ich ohnmächtig, für Sie zu handeln, wie es mein heißester Wunsch wäre. Es steht bei Ihrer Königlichen Hoheit, daß Sie die Partei des Greifensack verlassen, und unser Spiel ist gewonnen. Für mich ist es einerlei, ob ich im Ministerium bleibe oder nicht. Ich sehne mich nach Ruhe. Aber es ist mir für Ihre Königliche Hoheit nicht gleichgültig. Kann ich die Karten nicht nach Gefallen mischen, so habe ich verloren.«

Philipp wußte eine Weile nicht, was auf den Antrag erwidern. Endlich, während der Finanzminister, auf Antwort wartend, eine Brillantendose hervorzog und eine Prise nahm, sagte Philipp: »Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Graf, wollen Sie das Land ein wenig aushungern, um meine Schulden zu zahlen. Denken Sie auch, wieviel Elend Sie anrichten! Und wird es der König zugeben?«

»Wenn ich an den Geschäften bleibe, so lassen Sie das meine Sorge sein, gnädigster Herr. Sobald die Preise der Lebensmittel steigen, wird der König sogleich von selbst an eine Kornsperre denken und die Getreideausfuhr mit schweren Zöllen hemmen. Dann gibt man dem Haus Abraham Levi Ausfuhrbewilligungen für zehn Säcke, und es führt hundert aus. Nichts leichter als das. Allein, wie gesagt, kommt der Greifensack ans Ruder, wird daraus nichts. Ehe er sich ins Fach hineinstudiert, vergehen Jahre. Solange wird er aus Not den ehrlichen Mann spielen, um nachher den König und das Land desto ärger zu prellen. Er muß erst sein Terrain kennen. Es gibt keinen ärgeren Juden als den Greifensack. Sein Geiz ist stinkend.«

»Schöne Aussichten!« sagte Philipp. »Wie lange, glauben Sie, muß ein Finanzminister auf seinem Posten stehen, ehe er die Schere an das Volk legen kann, um für sich und unsereins etwas zu schneiden?«

»Hm, wenn er Kopf hat, bringt er's in einem Jahr weit.«

»So sollte man dem König raten, alle zwölf Monate einen neuen Finanzminister zu machen, wenn er immer ehrlich bedient sein will.«

»Ich hoffe, gnädigster Herr, seit ich die Finanzen führe, ist dem König und dem Hofe nichts abgegangen.«

»Das glaub' ich, Graf, aber dem armen Volke desto mehr. Es weiß die Menge der Steuern und Auflagen kaum noch zu erschwingen. Sie sollten ein wenig barmherziger mit uns umgehen.«

»Mit uns? – Tue ich nicht alles für den Hof?«

»Nein, barmherziger mit dem Volke sollten Sie verfahren, meine ich.«

»Mein Prinz, ich weiß, welche Achtung ich Ihren Worten schuldig bin. Der König mit seiner erlauchten Familie ist das Volk, dem ich diene; das, was man Volk nennt, kann in keine Betrachtung kommen. Das Land ist des Königs Eigentum. Völker sind nur insofern achtbar, als sie gleich andern Nullen, die der Hauptzahl folgen, den Wert derselben vergrößern. Aber es ist hier nicht der Augenblick, den abgedro schenen Wortkram über den Wert der Völker zu erneuern; sondern ich bitte um gnädigsten Entscheid, ob ich die Ehre haben soll, Ihre Schulden auf die bewußte Weise zu beseitigen?«

»Antwort: nein, nein und nimmermehr auf Unkosten von hunderttausend und mehr armen Familien.«

»Königliche Hoheit, es geht ja nur auf Rechnung des Hauses Abraham Levi. Und wenn ich dies Haus nötige, Ihnen noch zu den Quittungen Ihrer Schulden fünfzigtausend Gulden bar zuzulegen? Ich denke, es läßt sich machen. Das Haus gewinnt durch die einzige Operation so viel, daß –«

»Vermutlich auch für Sie, Herr Graf, noch ein artiges Trinkgeld herauskommt.«

»Ihre Königliche Hoheit belieben zu scherzen. Ich gewinne dabei nichts. Ich brenne nur vor Begierde, Ihre Huld wieder zu erhalten.«

»Sie sind sehr gütig.«

»Also darf ich hoffen, mein Prinz?«

»Herr Graf, ich werde tun, was recht ist; tun Sie Ihre Pflicht.«

»Meine Pflicht ist, Ihnen zu dienen. Morgen lasse ich den Levi berufen, schließe den Handel mit ihm ab und habe die Ehre, Ihrer Königlichen Hoheit die besagten Quittungen zu überreichen, nebst Anweisung auf fünfzigtausend Gulden.«

»Gehen Sie, ich mag davon nicht hören.«

»Und Ihre Königliche Hoheit wenden mir Ihre Gnade wieder zu? Denn ohne im Ministerium zu stehen, könnte ich dem Abraham Levi unmöglich –«

»Ich wollte, Sie und Ihr Ministerium und Ihr Abraham Levi säßen alle drei auf dem Blocksberg. Das sag' ich Ihnen, entsteht eine Kornsperre, läßt die Teuerung der Lebensmittel nicht auf der Stelle nach, verkauft Ihr Judenhaus nicht das aufgespeicherte Getreide sogleich um den Ankaufspreis, so gehe ich ohne anderes zum König, decke ihm alle Schelmereien auf und helfe Sie samt dem Abraham Levi aus dem Lande jagen. Verlassen Sie sich darauf; ich halte Wort.«

Philipp drehte sich um, ging in den Tanzsaal und ließ den Finanzminister ganz versteinert hingepflanzt stehen.