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Das Abenteuer der Neujahrsnacht

7.

»Wann befehlen Ihre Königliche Hoheit, daß der Wagen vorfahren soll?« flüsterte ihm eine Stimme zu, als er durch die Masken im Saal entlang ging. Es war ein dicker, holländischer Kaufmann mit einer Stutzperücke, der die Worte an ihn richtete.

»Ich fahre nicht.«

»Es ist halb zwölf Uhr vorbei, Prinz. Die schöne Sängerin erwartet Sie. Sie hat Langeweile.«

»So mag sie sich etwas singen.«

»Wie, Prinz, hätten Sie Ihren Sinn geändert? – Die reizende Rollina wollten Sie im Stich lassen? – Den goldenen Augenblick verlieren, nach dem Sie seit zwei Monaten vergebens seufzten? – Ihr Billett, das Sie diesen Morgen durch mich an Signora Rollina mit der Brillantenuhr schickten, tat dieses Wunder. Die stolze Spröde ergibt sich. Sie waren den Mittag noch so hoch entzückt und nun mit einem Male so kalt wie Eis? Was ist mit Ihnen vorgegangen? Die Verwandlung begreife ich nicht.«

»Das gilt mir gleich.«

»Sie haben mir aber befohlen, Sie um halb zwölf Uhr zu begleiten. Hätten Sie andere Engagements?«

»Freilich.«

»Etwa ein Souper bei der Gräfin Born? Sie ist nicht am Ball erschienen; wenigstens ist hier unter allen Masken keine Spur von ihr. Ich könnte sie an ihrem Gang und ihrer eigenen Art, das niedliche Köpfchen zu tragen, unter Tausenden unterscheiden. Wie, Prinz?«

»Und wenn es wäre, müßt' ich's Ihnen anvertrauen?«

»Ah, ich verstehe und schweige. Wollen Sie aber die Signora Rollina nicht wenigstens wissen lassen, daß Sie nicht kommen werden?«

»Hat sie mich zwei Monate nach ihr seufzen lassen, so mag sie auch einmal zwei Monate für mich seufzen. Ich gehe nicht.«

»Also aus dem prächtigen Halsschmuck, den Sie ihr zum Neujahrsgeschenk bestimmten, wird nun vermutlich auch nichts.«

»Wenn's auf mich ankommt, schwerlich.«

»Wollen Sie ganz mit ihr brechen, gnädigster Herr?«

»Ich habe mit ihr noch nicht angebunden.«

»Nun denn, Prinz – so darf ich offen sein. So darf ich die Wahrheit sagen, die Sie vielleicht aber schon wissen. Ich vermute es wenigstens aus Ihrer schnellen Sinnesänderung. – Nur Ihre Leidenschaft für die Rollina schreckte mich ab, es Ihnen früher zu gestehen. Sie sind betrogen.«

»Von wem?«

»Von der listigen Operistin. Sie würden die Gunst derselben mit einem Juden teilen müssen.«

»Mit einem Juden?«

»Nun ja, mit dem Sohn des Abraham Levi.«

»Ist der Schelm denn überall?«

»Sie wissen also noch nicht? Ich sage Ihnen die heilige Wahrheit. Wären Ihre Königliche Hoheit nicht dazwischengekommen, der Jude würde die feile Schöne öffentlich unterhalten. Es tut mir nur um die Uhr leid.«

»Mir nicht.«

»Die Metze verdient den Staupbesen.«

»Es wird mancher nicht nach Verdienst gewürdigt.«

»Königliche Hoheit, nur zu wahr. Zum Beispiel, ich habe neulich ein Mädchen entdeckt – o Prinz, die ganze Stadt und das ganze Königreich hat nichts Schöneres, nichts Lockenderes aufzuzeigen. Aber wenige Menschen kennen das himmlische Geschöpf. Puh, was ist die Rollina daneben! Eine alte Hexe von Denner. Sehen Sie, ein Mädchen, schlank und schwank wie ein Rohr, eine Farbe, eine zarte Haut wie Abendrot auf Schnee, ein paar Augen wie Sonnen, ein goldener dicker Haarwuchs – kurz in meinem Leben sah ich nichts Schöneres. Aber wer würdigt diese Venus? Es ist eine Liebesgöttin in bürgerlicher Haube. Auf diese müssen wir Jagd machen.«

»Also ein Bürgermädchen?«

»Freilich nur eine Grisette, aber – nein, Sie müssen sie sehen, und Sie werden brennen. Was hilft da mein Schildern und Preisen! Was Sie sich je in den schönsten Träumen Entzückendes träumen konnten, ist da in der Natur verkörpert, und dabei noch die liebste, zarteste, unentweihteste Unschuld! – Man sieht sie aber selten. Sie weicht selten von ihrer Mutter. Doch kenne ich ihren Sitz in der Kirche und den Sonntagsspaziergang, den sie gewöhnlich mit ihrer Mutter vor das Ulmentor macht. Auch habe ich schon ausgespürt, daß ein junger, hübscher Kerl, ein Gärtner, ihr den Hof macht. Er kann sie aber nicht heiraten, weil er ein armer Teufel ist, und das Mädchen hat auch nichts. Die Mutter ist Witwe eines an der Auszehrung gestorbenen Leinwebers.«

»Wie heißt die Mutter?«

»Witwe Bittner im Milchgäßchen, und ihre Tochter, schön wie eine Rose, heißt, was sie in der Tat ist, Röschen.«

Dem guten Philipp wurde es bei diesem Namen kalt und warm. Er hätte die beste Lust gehabt, dem Erzähler die geballte Faust auf den Kopf zu geben. »Sind Sie des Teufels?« rief Philipp.

»Gelt!« sagte der Holländer. »Ich habe schon gut gekundschaftet. Sie müssen das niedliche Ding erst sehen. Oder wie, mein Prinz, sollte Ihr Scharfblick schon die köstliche Perle entdeckt haben? Kennen Sie sie wirklich?«

»Ich kenne sie allerdings.«

»Desto besser. Habe ich zuviel gelobt? Stimmen Sie nicht bei? Die soll uns nicht entgehen. Wir wandern miteinander zur Mutter. Sie spielen den Menschenfreund. Die Armut der Witwe ist Ihnen bekannt geworden. Sie mögen keine Notleidenden sehen. Sie erkundigen sich teilnehmend nach den Umständen der guten Frau, lassen ein Geschenk zurück, wiederholen die Besuche, fahren in Mildtätigkeit fort, werden mit Röschen bekannter. Das andere gibt sich. Der Gärtnerlümmel ist bald beseitigt; der hilft vielleicht noch, wenn man ihm ein Dutzend harte Taler in die Hand drückt.«

Philipp wußte vor Grimm nicht, was sagen. »Der Donner soll dreinschlagen –«, rief er.

»Wenn der Schlingel, der Gärtner, Umstände macht?« unterbrach ihn der Holländer. »O dafür lassen Sie mich sorgen. Königliche Hoheit, bekomm' ich durch Ihr Fürwort den Kammerherrnschlüssel, so gehört Ihnen das Mädchen. Den Gärtner stecke ich unter die Soldaten und schicke ihn zur Armee. Da kann er sich für das Vaterland schlagen. Unterdessen sind Sie Meister im Felde; denn das Mädchen hängt, glaube ich, doch mit bürgerlicher Steifheit dem Burschen etwas an. Es wird überhaupt nicht leicht sein, dem Mädchen die Vorurteile aus dem Kopf zu bringen, die es unter der bürgerlichen Canaille eingesogen hat. Ich will es aber schon in die Schule nehmen.«

»Ich breche Ihnen den Hals dafür.«

»Allzu gütig. Nur Ihre Verwendung beim König und der Kammerherrnschlüssel ...«

»Herr, ich wollte, ich könnte Sie auf der Stelle ...«

»O sagen Sie mir keine Schmeicheleien, gnädigster Herr! Sie wissen, jeden Augenblick ist mir das Leben für Sie feil. Hätte ich geahnt, daß Ihnen das süße Geschöpf bekannt, daß es Ihnen nicht gleichgültig wäre, es läge längst schon in Ihren Armen.«

»Kein Wort mehr davon!« rief Philipp grimmig, so grimmig er mit gedämpfter Stimme an diesem Orte und in der Nähe der tanzenden, lärmenden, schwärmenden und lauernden Masken rufen durfte, im sich nicht zu verraten: »Kein Wort mehr!«

»Nein, Taten!« fiel der Holländer fröhlich ein. »Schon morgen sollen die Laufgräben gegen die Festung eröffnet werden. Dann rücken Sie vor. Sie sind gewohnt, zu siegen. Mit den lauersamen Vorposten werden wir bald fertig. Den Gärtner nehme ich auf mich; das Mütterlein geht zu Ihren goldenen Fahnen über. Dann Sturmschritt!«

Philipp konnte sich kaum mehr mäßigen. Er packte mit seiner Faust den Arm des Holländers und sagte: »Herr, wenn Sie sich unterstehen –«

»Um Gottes willen, gnädigster Herr, mäßigen Sie sich in Ihrer Freude. Ich muß laut aufschreien. Sie zerquetschen mir den Arm.«

»Wenn Sie sich unterstehen«, fuhr Philipp fort, »und stellen diesem unschuldigen Mädchen nach, so zerquetsche ich Ihnen, so wahr ich lebe, alle Knochen im Leibe.«

»Gut, gut!« seufzte der Holländer in schmerzlicher Angst.

»Geruhen Sie nur, mich loszulassen.«

»Finde ich Sie jemals auf das Mädchen hinschielend nur in der Nähe des Milchgäßchens, so sind Sie ein Kind des Todes von meiner Hand. Danach richten Sie sich.«

Der Holländer stand ganz verblüfft da. »Königliche Hoheit«, sagte er zitternd, »ich konnte nicht wissen, daß Sie das herrliche Mädchen so ernsthaft liebten, wie es scheint.«

»Sehr ernsthaft, das will ich vor der ganzen Welt gestehen.«

»Und werden wieder geliebt?«

»Was geht Sie das an? Reden Sie mir nie wieder davon. Denken Sie nie wieder an das Mädchen; Ihr Gedanke schon besudelt. – Nun wissen Sie meine Meinung. Packen Sie sich.«

Mit diesen Worten wandte ihm Philipp den Rücken, und der Holländer ging, hinter den Ohren krat zend, davon.