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Die reichsfreie Herrlichkeit Hoerstgen am Vorabend der Französischen Revolution

Die reichsfreie Herrlichkeit Hoerstgen war ursprünglich ein Frohnhof , der für den König das Reichsgut und von den verstreut liegenden Fiskalgütern die Abgaben ver waltete und einsammelte. Seit 1533 gehörte der Besitz der Familie von Milendonk. Seit 1557 war das Gebiet zum Protestantismus  übergetreten, das zu permanenten Konflikten mit dem nahe gelegenen Kloster Kamp führte.

Nach dem Tod der Reichsfrau Christine von Milendank in Jahre 1749 folgt ihr Großneffe Friedrich Heinrich von dem Knesebeck neuer Besitzer der reichsfreien Herrschaft  Hoerstgen. Da dieser jedoch noch nicht volljährig war, wurde der Freiherr von Wylich zu Dierforth, der vermutlich ein Bruder der Erblasserin war, als Kurator eingesetzt.

Mit den Schloßerbgrafen von Pilsen, Carl Ludwig von der Knesebeck und der braunschweigischen Oberhofmeisterin  Catarin Marie von Briesen kam es zu einem Erbstreit, der am 18.10.1751 endgültig gerichtlich entschieden wurde. Wenige Wochen später konnte Freiherr Wylich zu Diersfort als Kurator in die Lehnskammer zu Moers aufgenommen werden und somit die Verwaltung der Herrschaft wahrnehmen konnte.

Ende Februar 1771 ließ Friedrich Heinrich von dem Knesebeck von den Bewohnern der Reichsfreien Herrlichkeit Hoerstgen auf dem Marktplatz den Untertaneneid sprechen. Anwesend waren auch alle Schöffen der Herrlichkeit.

In der Eidesformel hieß es u.a.:

Ihr sollt geloben und schwören Sr. Hoch-Reichs-Freyherrlichen Gnaden Friedrich Heinrich Stempo von dem Knesebeck,  gnandtvon Milendonck,  Regierender Herr der Unmittelbaren Reichsfreuen HerrlichkeitHoertgen zu Frohnenbruckals Euer jetziger Landes- und. Leibgewinnherrschaft, getreu, hold, gehorsam und gewärtig zu sein; in alledem was Hochdieselbe mich heißen wird zu tuen und und zu lassen, auch zu vollziehen. (Darüber hinaus) zu der gedachten Herrlichkeit Schaden und Nachteil nicht beytragen und Kraft.  eures besten Vermögens zu verhüfen, derselben Bestes zu erobern forthin.  und allhin wie einen frommenund gebraven Untertanen von Gottes- und Rechtswegen gefährlich zu verhalten.

Daneben So. Hoch gedachten Durchlaucht Herrlichen Gnaden Verordnungen Richter und Schuldheißen wie Schöffen und Baur Meister der gebührenden Gehorsam leisten ungleichend für Zinsen und Geschoß Diente und Vrohnen war Ihr bis hierherEurer vorigen Landes- herrschaft geleitet habt und Eurer Obrigkeit mitsich bringet getreulich leisten und aufrichten, der nicht weniger auch sonstens den Nachbarn freund- friedlich zu verhalten.

Das Dokument wurde von 67 männlicher Einwohnern sowie der 7 Schöffen unterschrieben.

Doch schon zwei Jahre später war Karl Franz Paridam von dem Knesebeck, Leutnant in Infanterieregimentdes Prinzen Heinrich, neuer Herr in Hoerstgen. Er erbte den Besitz von seinem älteren Bruder.

1775 wurden der neuen Richter und Schultheiß Ludwig Turck sowie die Schöffen in ihre Ämter eingeführt. Hierfür versammelte man sich auf den Richtplatz der reichsfreien Herrschaft Hoerstgen.

Zunächst huldigte und gratulierte dem Landesherren zur Übernahme der Regierung. Richter Turck leistete den Amtseid ab:

Ich, Johann Heinrich Ludwig Turck, schwöre zu Gott dem Allmächtigen einen wahren, körperlichen Eid, daß nachdem ich von Seiner Frei herrlichen Gnaden Herrn Karl Franz Paridam von dem Knesebeck, Freiherrn von Milesdonk, jetzigen regierenden Landesherrn zum Richter bestellt bin, ich mein mir aufgetragenes Richter- und Schultheißenamt getreu und fleißig und mit aller Sorgfalt wahrnehmen,
auch alle Monate an gewöhnlicher Gerichtsstätte wenigstens einmal und so oft es die Notdurft erfordert, das Gericht treulich varten und halten,
die Parteien in ihren Sachen nicht aufhalten, sondern nach Möglichkeit fördern,
sie in ihren Schriften und mündlichen Vorträgen nach Notdurft hören und nach meinem besten Wissen und Gewissen den Gemeinen im Heiligen Römischen Reich nach den hier üblichen Gesetzen, Verordnungen und Gewohnheiten gemäß, ohne Ansehen der Person und Annehmung einiger Geschenke rechtmäßig zu Zivil- und
Kriminalsachen Urteil sprechen,
niemandem einige Akten und Dokumente oder Protokolle aus den Gerichts- oder herrschaftlichen Archiven zu zeigen oder loszulassen, noch die gerichtlichen Resolutionen und Verordnungen auch Urteile vor der Zeit und ehe sie publiziert sind, jemandem ungebührlich zu offenbaren,
niemanden mit übermäßigen Sportulen (Abgaben)
beschweren, sondern unter der bisherigen Observanz (Regel) und gesetzten Vorschrift nachgehen, die Heimlichkeiten, welche bei diesem meinem Amte mir anvertraut werden oder ich sonst erfahre, lebenslänglich verschweigen,
alle mit dieser unmittelbaren Reichsfreien Herrlichkeit verknüpften hohen Privilegien und Reichsfreiheiten zum besten Nutzen meines gnädigen Landesherrn und hiesiger
Gemeinde zu schützen und aufrecht halten,
und ich alles tun will, was einan getreuen, aufrichtigen und gewissenhaften Richter und Schultheißen geziemt und gebühret

Im Jahre 1789 beabsichtigte Karl Franz Paridam die Herrschaft an dem Generalgouverneur von Schwedisch-Vorpommern, Grafen Friedrich Wilhelm von Hessenstein, zu verkaufen. Die Verhandlungen zogen sich jedoch über mehrere Jahre hin ehe sie erfolg los abgebrochen wurden. Neben den komplizierten Rechtsverhältnissen . dürfte auch die Geldforderung des Freiherrn von dem Knesebeck in Höhe von 506.885 Reichstaler. Am 18.04.1788 verfasste Regierungsrat Goebel, der den Besitzer der Herrschaft vertrat, dem potentiellen Käufer eine Beschreibung des Besitzes vor. Im Schreiben hieß es  u.a.:

Das Hoerstgen ist ein Flecken und ziemlich bewohnt. Die Leute haben schöne Häuser und handeln mit allerhand Waren. Um den Ort herum auf dem Land liegen die Häuser hin und wieder bei ihren Ländereien und die Leute beschäftigen sich mit dem Ackerbau. Es wohnen auch ziemlich Juden darin, welche vieles eintragen. Wenn einer Fabriken oder einen großen Handel einführen wollte, könnte es alda mit großen Vorteil geschehen als im Kölnischen oder Preußischen,weilen darin so viel impassen stehen. Das Schloß Frohnenbruch hat zwarn 4 ad 5 Türme, ist mit Graben und Brücken versehen, jedoch alt. Es sind etliche gute Zimmer, wo der Herr logiert. Vor zwei Jahren hat der Prinz Heinrich ihn besucht und hat eine Nacht bei Ihn logiert, denn er  ist vorhin bei Ihm sein Adjutant gewesen.

Aus den Jahre 1789 ist eine Vermögensaufstellung überliefert, die u.a. die Einnahmen und Gefälle des Landesherren ausführlich darstellen:An gewissen Revenüen[1]:

  1. An gewissen Revenüen[1]:
  1. Die Mühlenpacht beträgt jährlich 460 Rthlr.
    Sie ist hab in Gold und halb in courant zu entrichten.
    Der Weinkauf bei sechsjährigen Verpachtung macht jährlich 8 Rthlr. 24 st. aus.
  2. Hand- und Spanndienste sind verpachtet und bringen jährlich 329 Rthlr. ein.
    Die weiterhin zu leistenden Dienste betragen 16 Fuhrdienste sowie 70 Handdienste nach Landesart. Fuhrdienste werden mit 1 Rthlr., die Handdienste mit 15 st. = 33 Rthlr. berechnet.
  3. Kesselgdd bringt bringt jährlich 50 Rthlr. ein.
  4. Die Taubenflucht 10 Rthlr.
  5. Die Bier- urd Branntwein-Accise[2] beträgt 25 Rthlr.
  6. Tribut[3] von den Juden 135 Rthlr.
  7. Hausmiete 86 Rthlr.
  8. Die Pacht für 100 Morgen Land in der Herrlichkeit beträgt die Pacht pro Morgen 8 Rthlr. = 800 Rthlr.
  9. Die Pacht für 51 Morgen bendt[4] beträgt pro Morgen 8 Rtlr. = 408 Rthlr.
  10. Für Privat Huth[5] = 100 Rthlr.
  11. Für Coppel Huth[6] = 250 Rthlr.
    Auf den Weiden haben 500 Schafe Platz, ohne daß Kühe und Pferde dazugerechnet sind.
  12. Die Pacht für 6 Morgen Baumgarten beträgt pro Morgen 10 Rthl        für dier. = 60 Rthlr.
  13. Für die 4 großen herrschaftlichen Gärten sind pro Morgen 25 Rthlr. = 100 Rthlr. zu zahlen
  14. 12 verpachtete Gärten pro Garten 4 Rthlr. = 48 Rthlr.
  15. Haferpacht für 178 Morgen, pro Morgen 3 Rthlr. = 534 Rthlr. Es muß auserlesener Hafer geliefert werden.
  16. 187 Pachthühner à 12 st. = 37     Rthlr., 24 st.
  17. Eine fette Gans zur Pacht = 40 st.
  18. Die Verpachtung des Grases in den Alleen jährlich 8 Rthlr.
  19. An jährlichen Recognitionsgeldern  50 Rthlr.
  20. Die Kuchensteuer 50 Rthlr.
  21. Für Musik und freie Geläge 15 Rthlr.
  22. Pacht für große und kleine private Jagden 25 Rthlr.
  23. Für die Koppeljagd 25 Rthlr

De aufgeführten Einnahmen betragen insgesamt 3650 Rthlr., 58 Stüber.

  1. An ungewissen jährlichen Einkünften nach einem Durchschnitt von 15 Jahren berechnet:
  1. Die Jurisdicationsgefälle[7] worunter Früchte, Patentgelder und gerichtliche Einnahmen fallen, betragen 200 Rthlr.
  2. Der zu erteilende Schutz 200 Rthlr.
  3. Erteilte Dispensationen[8] an einheimische und Auswärtige 220 Rthlr. 
  4. Der zu erteilende Salvus Conductus[9] 50 Rthlr.
  5. Für zu erteilende Konzessionen an Krämer, Handelsleute, Professionisten[10], und Standgelder für die Kirmes
  6. Für zu erteilende handelsherrliche Pässe 10 Rthlr.
  7. Der zehnte Pfennig von allen Grundstücken, die verkauft werden und außer Landes gehen, 100 Rthlr.
  8. Für aufgenommene Kapitalien gebührt der Herrschaft 2 %.
    Konsensgelder 30[11] Rthlr.
  9. Gewinn und Kurmede[12], wofür die Untertanen jährlich gern an gewissen Ausschlag 300 Rthlr. geben.
  10. Beim Aussterben der Hände[13], alsdann die Güter zur herrschaftlichen Tafel fallen, wenigstens jährlich 200 Rthlr.
  11. Die zu liefernden Plätze bei Kindstaufen, Heiraten und Sterbefällen 20 Rthlr.
  12. Die zu liefernden Zungen des geschlachteten Hornviehs hier in der Herrlichkeit jährlich 300 – 400 Stück, die Zunge zu 15 st. Gerechnet und 87 Rthlr., 30 st.
  13. Die zu liefernden Präsente bei der Ansetzung von Schöffen, Kirchenältesten, Diakonen und die zu erteilenden Konzessionen, Patente pp., das eine gebräuchliche Schuld ist, 5 Rthlr.
  14. Vom Hopfenbau 3 Rthlr.
  15. Dem Bienenstand 25 Rthlr.
  16. Der Ziegelbrennerei 300 Rthlr.
  17. Der Btraueei 20 Rthlr.
  18. Die Buchen- und Eichenaxt 10 Rthlr.
  19. Für Schanzen, die jährlich etwa 6.000 – 7.000 betragen, per 1.000 = 40 Rthlr. = 240 Rthlr.
  20. Klafter Holz werden nur 30 Karren per Karre 1 Rthlr. angesetzt, Da aber das Holz in verschiedenen Jahren besser angepflanzt ist, können es in 15 – 20 Jahren 60 Karren sein.
  21. An Obst werden jährlich im Durchschnitt 200 Säcke geerntet. Dieses Jahr waren es 450 pro Sack 50 st. = 166 Rthlr., 40 st.
  22. Von der Armenkasse 24 Rthlr.
  23. Zoll- und Wegegeld 40 Rthlr. Es ist zwar jetzt geringer verpachtet, trägt aber gewiß bei einer ordentlichen Administration 50 Rthlr. aus.
  24. Jährlicher Judenzoll 25 Rthlr. Er ist zwar geringer veranschlagt und so geblieben, als nur zwei bis drei Familien hier ansässig waren. Sie haben sich vermehrt, so dass sie jährlich 40 – 50 Rthlr. erbringen müssten.
  25. Gefälle von Begnadigungssachen 10 Rthlr.
  26. Lieferung des Holzes zum Mühlen- und Brückenbau 100 Rthlr.
  27. Für Aufeisen der Weiher und Rottdienste der Wachen im Winter 15 Rthlr.
  28. Die Wind-, Jagd- und Hühnerhunde, welche die Bauern aufzuziehen schuldig sind, 6 Rthlr.
  29. Das Verkaufsrecht der Kälber und Rinder, die die Untertanen fett zu machen schuldig sind, 5 Rthlr.

Die Summe an ungewissen jährlichen Einkünften beträgt 2,442 Rthlr., 10 st.

  1. An Stücken, deren wahrer Wert durch die Revenüen nicht zu bestimmen und nch einer landesüblichen Taxe angesetzt werden muss:
  1. Die herrschaftlichen und wirtschaftlichen Gebäude 5.000 Rthlr.
  2. Das Bauholz der aufgehenden Bäume von 60 bis 100 Jahren 15.000 Rthlr.
  3. Die herrschaftlichen Kirchensitze 500 Rthlr.
  4. Die herrschaftlichen Begräbnisgewölbe 200 Rthlr.
  5. Die Kirchensitze der Kammerjungfrauen und Bediensteten 50 Rthlr.
  6. Übrige herrschaftliche Begräbnisse in der Kirche 150 Rthlr.
  7. Für Begräbnisse auf dem Kirchhof 100 Rthlr.

umma 20.000 Rthlr.

  1. Nun kommen die Praerogationen[14]:
  1. Die Souveranität beider Herrlichkeiten
  2. Die Pastorat- und Kirchengüter, die von der Familie gestiftet und geschenkt sind, als Gewinn Kurmute, Pächte, Zinsen pp.
  3. Die Kapitalien der Armenkasse, die ebenfalls größtenteils durch Schenkungen und Vermächtnisse der Familien und fundiert sind. Deshalb steht ihr auch über die Armenkasse freie Disposition zu.
  4. Auch die Kirchen sind von der Landesherrlichkeit fundiert.
  5. Die hohe und niedrige Jurisdiktion, deshalb auch die Ansetzung aller Gerichtspersonen.
  6. Die geistliche Jurisdiktion.
  7. Das Kollations- und Personalrecht.
  8. Ansetzung des Predigers, Kirchenmeisters, ältesten Diakons, Schulmeisters, Küsters, Organisten pp.
  9. Die obrigkeitliche Einziehung der nicht im Streit befangenen Gemeindegründe, die bei der Urbarmachung ein ansehnliches Kapital erbringen können.
  10. Verwendet jemand 8.000 – 10.000 Rthlr. hier in beiden Herrschaften, so kann er sich in 10 Jahren eine Vermehrung der Revenüen um 2.000 bis 3.000 Rthlr. versprechen.
  11. Durch Anlegen von Lotterien und dergleichen kann eine Landesherrschaft ebenfalls ihre Einkünfte ansehnlich vermehren.

Im Folge der Revolutionskriege musste auch Karl Franz Paridam von dem Knesebeck die reichsfreie Herrschft Hoerstgen im Jahre 1793 aufgeben. Er begab sich nach der französischen Besetzung der preußischen Grafschaft Geldern zunächst nach Wesel. Das bisherige Feudalsystem, dass die Verhältnisse zwischen Herrscher und Unternanen regelte, wurde durch die französischen Besatzer aufgehoben. Bis zum Jahre 1846 blieb Burg Frohenbruch noch im Besitz der Famiilie von Knesebeck. Erst im Jahre 1846 wurde es - total verfallen und mit einem verbleibenden Grundbesitz von 42 ha - an die Familie Bird veräußert.


[1] Einkünfte

[2] Steuer

[3] Abgaben

[4] Wiese

[5] Freie Weide

[6] Eingezäunte Weide

[7] Rechtsverbindlichkeiten

[8] Befreiungen, Erlasse

[9] Ehrenvoller Geleit

[10] Handwerker

[11] Einwilligungsgelder

[12] Abgabe bei Todesfällen

[13] Bei so genannten Behändigungsgütern

[14] Freie Weide