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Regungen des Widerstandes

Von Hellmut G. Haasis

Entgegen einem weit verbreiteten  hatten seit dem Dreißigjährigen Krieg regionale und lokale Widerstandsbewegungen nie aufgehört. Der »Rappenkrieg« am Hochrhein gegen den »bösen Pfennig« (1612-14), die Bauernaufstände in Oberösterreich (1626), im elsässischen Sundgau (1633) und in Bayern (1632—34) oder die Steuerverweigerung der Züricher Seebauern (1646) setzten fast vergessene Freiheitsimpulse früherer Generationen fort. Gleichzeitig schlugen sie eine Brücke zu einem Zeitalter, in dem die Machthaber mehr als früher auf die Zustimmung der Untertanen angewiesen sein sollten. Die dreißigjährige Bauernbewegung in der Grafschaft Schönburg (1650—81) berührte bereits Gegenden, die im sächsischen Bauernaufstand zur Zeit der Französischen Revolution mit der ersten flächenmäßig größeren Erhebung hervortraten.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts liegt der Schwerpunkt der Bauernkämpfe in der Lausitz und in Böhmen, in Gegenden also, die sich auch nach dem Bastillesturm kräftig zu Wort meldeten. Bei den Auseinandersetzungen um Bürgerrechte taten sich Lübeck, Hamburg, Danzig und Köln hervor. Viele Städte jedoch verloren ihre kommunale Selbständigkeit an Territorialherrscher, meist nach zähem Widerstand. Das städtische Bürgertum trat gegenüber der Hofgesellschaft zurück, erst mit dem Beginn der Großen Revolution von 1789 regte es sich wieder kräftiger.

Im Verlauf des 18. Jahrhunderts gerieten die Gesellen, eine zünftisch organisierte Form der Arbeiter, stärker in den Vordergrund, ohne das geschwächte Bürgertum als vorantreibende Kraft einer Emanzipationsbewegung ersetzen zu können. Die Gesellen einzelner Branchen überschritten bei reichsweiten Aktionen erheblich die gewöhnliche Beschränktheit der Bürger, aber allgemeine Forderungen, die ein demokratisches Zeitalter  hätten andeuten können, wuchsen daraus nicht hervor.

Im stark zersplitterten deutschen Südwesten fehlte es im 18. Jahrhundert nicht an lang andauernden Bauernbewegungen. Die bedeutendste Leistung vollbrachten die Bauern der Grafschaft Zollern um Hechingen. Ein volles Jahrhundert lang von 1700 bis 1798, stritten sie um ihr altes Jagdrecht und widersetzten sich Steuern, Abgaben und Frondiensten. Bewaffnete Zusammenstöße wie der in Groselfingen (bei Hechingen) stellten freilich eine Ausnahme dar. Dieses denkwürdige Gefecht des Jahres 1733 markierte einen Bauernsieg: ein Jahrhundertereignis.

So gut die ländliche Bevölkerung in einem kleinen Fürstentum sich auch schlug, der Funke sprang nicht über, die angrenzenden Landschaften folgten dem Beispiel nicht. Dennoch sind selbst solche regional begrenzten Emanzipationsstöße nicht geringzuschätzen. Sie hielten die Reichsinstanzen ständig unter Druck. Sie konnten verhindern, dass sich die soziale und rechtliche Lage nennenswert verschlechterte.

Dieser »zweite Bauernkrieg«, wie die jüngere Geschichtsschreibung die bäuerlichen Kämpfe zwischen dem Großen Bauernkrieg und der Französischen Revolution zu nennen beginnt, brachte wertvolle historische Erfahrungen. Die Bauern besprachen sich in Vollversammlungen, in größeren Gebieten wählten sie Delegierte. Die Hechinger erkämpften sich die reichsgerichtliche Anerkennung einer Art Bauenlandtag. Sie lernten, wie sie sich auf dem schlüpfrigen, diplomatischen Parkett am Reichsgericht in Wetzlar oder am Reichshofrat in Wien bewegen mussten. Ihre nach Wetzlar oder Wien geschickten Abgeordneten begriffen allmählich, dass sich festgefahrene Verhandlungen durch rechtzeitig zu Hause ausbrechende »Unruhen« wieder flottmachen ließen. Eine Art Warnstreik, die Wunder wirken konnte.

Diese Anfänge des Parlamentarismus brauchen nicht von oben herab, aus städtisch-bürgerlicher Sicht, belächelt zu werden. Die inzwischen etwas bekannter gewordene Mainzer Republik von 1792/93 umfasste kein viel größeres Territorium als manche regionale Bauernbewegung. Zudem kann sie ihren Geruch eines »Besatzungsprodukts« verlieren, wenn wir sie stärker als bisher mit den früheren demokratischen Bewegungen des deutschen Sprachraums in Verbindung bringen.

Auch wenn mein Überblick über die Freiheitsbestrebungen des 18. Jahrhunderts fragmentarisch sein muss, so fällt doch auf, dass weitaus die Mehrzahl der verzeichneten Ereignisse die bäuerliche Bevölkerung betreffen (Haasis: Spuren, 2. Bd., S. 580—588), eine Minderzahl das Bürgertum (S. 588 — 590). Das 18. Jahrhundert war noch einmal, ein letztes Mal, ein Jahrhundert der Bauern. Da kaum Landstände existierten, städtische Zentren mit großer Ausstrahlung auf eine weite Region fehlten und der Kampf um konkrete Rechte unterschiedliche Absichten verfolgte und jeweils spezifische Formen annahm, konnten die einzelnen Bewegungen nicht in einem allgemeinen Ziel zusammenlaufen. Diese strukturelle Schwäche, die nicht zuletzt auf die Zersplitterung des Deutschen Reiches zurückging, änderte sich selbst im Revolutionszeitalter nicht.

Literatur:

  • Cramer, J.: Die Grafschaft Hohenzollern. Ein Bild süddeutscher Volkszustände 1400— 1850, Stuttgart 1873
  • Elbs, Eberhard: Owingen 1584. Der erste Aufstand in der Grafschaft Zollern, in: Zeitschrift für Hohenzollersche Geschichte, 104, 1981, S. 9— 127
  • Haasis, Hellmut G.: Spuren der Besiegten (siehe Kapitel 1), 1. Bd., S. 345—404; 2. Bd., S. 415—592
  • Press, Volker: Von den Bauernrevolten des 16. zur konstitutionellen Verfassung des 19. Jahrhunderts. Die Untertanenkonflikte in Hohenzollern-Hechingen und ihre Lösungen, in: Weber, Hermann (Hg.): Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, S. 85— 112
  • Scheel, Heinrich: Die Mainzer Republik (siehe Kapitel 1), 2. Bd., S. 17—72
  • Schulze, Winfried: Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen Neuzeit, Stuttgart—Bad Cannstatt 1980
  • Troßbach, Werner: Bauernbewegungen in deutschen Kleinterritorien zwischen 1648 und 1789, in: Schulze, Winfried (Hg.): Aufstände, Revolten, Prozesse. Beiträge zu bauerlichen Widerstandsbewegungen im frühneuzeitlichen Europa' Stuttgart 198), S. 25 3—260
  • Ders,: .Erlösung aus der Dienstbarkeit?» Emanzipationsversuche der Untertanen in der Herrschaft Westerburg 1706—1728, in: Nassauische Annalen, 94, 1983'
  • Ders.: Fallstudien zujn bäuerlichen Widerstand im Alten Reich 648— 806, Darme stadt und Marburg 198S
  • Ders.: soziale Bewegung und politische Erfahrung. Bäuerlicher Protest in hessischen Territorien 1648— 806, Weingarten 1986
  • Ders.: .Südwestdeutsche in der Frühen Neuzeit- eine Bagatelle?' in: Geschichte und Gesellschaft, 7, i, S. 69-90
  • Ders: Widerstand als Normalfall: Bauernunruhen in der Grafschaft Sayn.Wittgen• stein.Wittgenstein 1696-1806, in: Westfälische Zeitschrift, 135, 1985'