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Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Achtzehnter Brief

Genf, den 31. Juli.

Leider verhinderte schon wieder Regen gestern früh den ungetrübten Anblick der köstlichen Gegenden, die zwischen Rolle und Nyon und zwischen Nyon und Genf liegen. Nur dann und wann ließen einzelne zerrissene Wolken einen Blick hindurch thun, auf die wunderschönen Berge, die sich jenseits des Sees erhoben. Erst nahe bei Genf klärte sich das Wetter auf; aber die Sonne vermochte doch nicht, den neblichen Duft aufzulösen, der alles wie ein Flor verhüllte.

Ich hielt, triumphirend in meinem Innern, mit dem frohen, beglückenden Gefühl sicherer Hoffnung meinen Einzug in diese reizende Stadt; aber wie sehr wurde ich getäuscht in den süßen Erwartungen, denen ich entgegen sah. Ich glaubte nämlich Briefe zu finden — doch es waren keine da. Das Verlangen nach einigen Zeilen ist unbeschreiblich lebhaft in mir — — es befriedigt zu sehen, würde mir den Aufenthalt hier unendlich verschönert haben.

Es ist thöricht, sich durch das Fehlschlagen eines Wunsches so verstimmen zu lassen — auch sind es nicht die äußeren Genüsse des Lebens, deren Entbehren mir schwer fällt, wenn das finstere Schicksal gebietet. Aber von dieser Seite bin ich schwach wie ein Kind. Neulich bettelte mich eine alte Frau an. Ich gab ihr eine Kleinigkeit, und sie dankte mir innigst dafür, und sagte unter andern: je priérai dieu, de Vous conserver tous Vos biens. — Diese Worte ergriffen mich tief. Ach meine Güter bestehen blos in der Liebe meiner Freunde, und getrennt von ihnen sind nur ihre Briefe die Renten, die ich von ihnen beziehe! —

Uebrigens scheint diese Stadt ganz geschaffen, um durch ihre Lage sowohl, als den angenehmen Ton der Gesellschaft einen umwölkten Sinn seine Heiterkeit zurück zu geben, und selbst rauh erklingende Mißtöne des Innern wieder in sanfte Harmonie zu verschmelzen. Himmlisch schön ist die Gegend, und sehr ungezwungen, gebildet und freundlich sind die Menschen. Wir brachten den vorigen Abend recht angenehm bei dem Banquier H., an den wir empfohlen waren, auf seinen Landhaus zu, das unmittelbar am See liegt. Eine große Gesellschaft bewegte sich dort im zwanglosesten Wechsel, denn viele kamen und giengen, weil sie nur ihre Glückwünsche darbringen wollten, da der älteste Sohn des Herrn H. sich erst vor einigen Tagen verheiratethet hatte. Andere waren Ausländer, und so wie wir an H. empfohlen. Wir machten eine Spazierfahrt mit ihm auf dem See, dessen klare Wellen lieblich flüsternd das leichte Boot mit uns dahin trugen. Die allmählig sich erhöhenden Ufer rings um faßten wie ein herrlicher Kranz das stille Gewässer ein, und blickten doppelt aus seinem reinen Kristall hervor, in welchen die Bläue des Himmels ihr schimmerndes Bildniß prägte. Als wir zurückkehrten, saßen wir noch lange vor der Thür des Landhauses, um die wunderbaren und entzückenden, Farbenerscheinungen zu beobachten, die an dem Montblanc vorüber giengen, den man hier in seiner ganzen Majestät sieht. Erst gegen den Untergang der Sonne trat er mit seinem blendenden Schneegipfel aus den Wolken, die ihn verschleierten. Nach und nach erröthete er sanft — dann gieng er in eine bleiches Lilas über, das immer dunkler wurde, bis es sich zu einem lebhaften Violett mit einzelnen goldgelben Lichtpunkten verstärkte, worauf er wieder stufenweis zu seiner reinen Weisse zurückkehrte. Es war ein wunderschöner Abend, den der aufgehende Mond noch einen Zauber mehr gab.

Heute Morgen haben wir die Promenaden innerhalb der Stadt, und einige der öffentlichen Gebäude besehn. Göttlich ist à la plache St. Andtoine die Aussicht auf den so reich angebauten Coligny und auf den See, dessen reine, durchsichtige Klarheit ich mit nichts vergleichen kann. La treille ist auch unbeschreiblich schön wegen der herrlichen Ferne, die man übersieht, aber das verwöhnte Auge wünscht Wasser hinzu, und weilt lieber auf den klöstlichen vue, die St. Antoine darbietet, weil sich dort alles vereinigt, was man nur von dem Ideal einer schönen Gegend verlangen kann.

Im Kriminaltribunal, wo wir auch waren, gefiel mir die edle Einfalt und Würde des Ganzen. Die Einrichtung ist so zweckmäßig, daß mir dünkt, sie sollte nirgends anders seyn. Mit innerm Schauder betrachtete ich die Bank, wo die Verbrecher ihren Richtern gegen über sitzen. Wenn sie ihre Augen erheben, bietet sich auf einer schwarzen Tafel die Inschrift ihnen dar: l'effroi du crime, l'asyle de l'innocence. Wie mancherlei Empfindungen mögen durch diese Worte in der Brust der Angeklagten erregt werden.

Den Abend brachten wir im Theater zu. Das Schauspielhaus ist nicht groß, aber heiter und zweckmäßig eingerichtet. Es war besser beleuchtet, als die meisten mir bekannten Schauspielhäuser in Deutschland. Man gab gerade vier Vorstellungen, unter denen die letzte: la mariage du capucin, mir am meisten gefiel.