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Walpurgisnacht

Die Versuchung

»Um Verzeihung, wenn ich Sie störe!« sagte er: »Habe ich die Ehre, Herrn Robert ... zu sprechen?«
»Der bin ich in der Tat!« erwiderte ich.
»Womit beweisen Sie das?«
Sonderbare Frage, dachte ich, ohne Zweifel ein Polizeispion.
Es lag ein halbzerrissener Brief auf meinem Tisch. Ich zeigte ihm die an mich gerichtete Zuschrift auf dem Umschlag.
»Ganz gut«, sagte er, »allein Sie tragen einen Namen, der so allgemein ist, dass man dergleichen in allen Winkeln Deutschlands, Ungarns und Polens findet. Geben Sie mir nähere Umstände an. Ich möchte mit Ihnen Geschäfte machen. Man hat mich an Sie adressiert.«
»Mein Herr«, sagte ich, »verzeihen Sie, ich kann jetzt nicht an Geschäfte denken; bin auf dem Sprung zur Abreise und habe noch tausend Dinge zu besorgen. Auch irren Sie sich wohl in meiner Person, denn ich bin weder Staatsmann, noch Kaufmann.«
Er maß mich mit großen Augen und sagte: »So?« Er schwieg eine Weile, und schien im Begriff umzukehren, dann aber fing er an: »Sie haben doch Handelsgeschäfte in Prag getrieben? Ist nicht Ihr Herr Bruder auf dem Punkt gestanden, Bankrott zu machen?«
Ich muss feuerrot gewesen sein, denn davon wusste, glaubte ich, außer meinem Bruder, keine Seele, als ich. Auch lächelte der Versucher wieder sein schadenfrohes Lächeln.
»Mein Herr, Sie irren sich noch einmal!« sagte ich. »Zwar habe ich einen Bruder, und mehr, als einen, aber keinen, der Bankrott zu fürchten hätte.«
»So?« murmelte der Versucher, und seine Züge wurden wieder hart und eisern.
»Mein Herr«, ? sagte ich etwas empfindlich, denn es war mir gar nicht lieb, dass Jemand in Prag lebte, der von meines Bruders Umständen unterrichtet war, und ich fürchtete, der Schlaukopf wolle in mein Spiel sehen, wie dem Schachspieler im Kaffeehause. ? »Sie sind gewiss an den unrechten Mann gewiesen. Ich muss um Verzeihung bitten, dass ich Sie ersuche, sich kurz zu fassen. Ich habe keinen Augenblick zu versäumen.«
»Gedulden Sie sich nur eine Minute«, erwiderte er, »es liegt mir daran, mit Ihnen zu reden. Sie scheinen unruhig und verlegen. Ist Ihnen etwas Unangenehmes widerfahren? Sie sind fremd hier. Ich zwar gehöre auch nicht nach Prag, und sehe die Stadt seit zwölf Jahren wieder zum ersten Mal. Allein ich weiß zu allen Dingen guten Rat. Vertrauen Sie sich mir. Sie haben das Gesicht eines Biedermanns. Brauchen Sie Geld?«
Da lächelte oder vielmehr grinste er wieder, als wollte er mir meine Seele abkaufen. Sein Tun war immer verdächtiger; ich schielte von ungefähr nach seinem Klumpfuß, und wirklich wandelte mich abergläubische Furcht an. In keinem Falle wollte ich mich mit dem verdächtigen Herrn einlassen, und sagte: ich hätte kein Geld nötig. »Da Sie es mir aber so großmütig antragen, mein Herr, darf ich Sie um Ihren Namen bitten?«
»An meinem Namen kann Ihnen nicht viel liegen«, erwiderte er, »der tut nichts zur Sache. Ich bin ein Mannteuffel. Gibt mir der Name bei Ihnen mehr Zutrauen?«
»Ein Mannteuffel?« sagte ich, und wusste in seltsamer Verlegenheit nicht, was ich sagen wollte, und ob das ganze Ding Ernst oder Spaß sei.
Indem ward an die Türe gepocht. Der Wirt trat herein und brachte mir einen Brief, der von der Post gekommen war. Ich nahm ihn.
»Lesen Sie nur den Brief erst«, fing der Rotrock an, »nachher können wir schon wieder sprechen. Der Brief ist ohne Zweifel von ihrer liebenswürdigen Fanny.«
Ich ward verlegener, als je.
»Wissen Sie nun endlich«, fuhr der Fremde fort und grinste: »wissen Sie nun endlich, wer ich bin, und was ich von Ihnen will?«
Es lag mir auf den Lippen, zu sagen: »Mein Herr, Sie sind, glaube ich, der Satan, und möchten meine arme Seele zum Frühstück?« doch hielt ich an mir.
»Noch mehr«, setzte er hinzu: »Sie wollen nach Eger. Gut, mein Weg geht durch das Städtchen. Ich reise morgen ab. Wollen Sie einen Platz in meinem Wagen annehmen?«
Ich dankte, und sagte: »Ich habe schon Post bestellt.«
Da ward er unruhiger und sagte: »Es ist Ihnen nicht beizukommen. Aber Ihre Fanny, den kleinen Leopold und August muss ich doch im Vorbeigehen kennen lernen. Erraten Sie noch nicht, wer ich bin und was ich will? In des Teufels Namen, Herr, ich möchte Ihnen gern einen Dienst leisten. Reden Sie doch.«
»Gut!« sagte ich endlich: »Wenn Sie ein Hexenmeister sind, mir ist meine Brieftasche fort gekommen. Raten Sie mir, wie ich sie wieder bekomme?«
»Pah, was ist an einer Brieftasche gelegen? Kann ich Ihnen sonst nicht...«
»In der Brieftasche waren aber wichtige Papiere, über vierzehnhundert Taler an Wert. ? Raten Sie mir, was habe ich zu tun, wenn sie verloren ist? und was, wenn sie gestohlen ist?«
»Wie sah die Brieftasche aus?«
»Seidenüberzug, hellgrün, mit Stickerei, mein Namenszug von Blumen darin. Es war eine Arbeit von meiner Frau.«
»So ist der Überzug mehr wert, als die vierzehnhundert Taler.« Er lächelte mich wieder dabei mit seiner fürchterlichen Freundlichkeit an; dann fuhr er fort: »Da muss Rat geschaffen werden. Was geben Sie mir, wenn ich Ihnen den Verlust ersetze?«
Bei diesen Worten sah er mich scharf und sonderbar an, als wollte er mir die Antwort: »Ich verschenke Ihnen meine Seele!« auf die Zunge legen. Da ich aber verlegen still schwieg, griff er in die Tasche und zog meine Brieftasche vor.
»Da haben Sie Ihr Kleinod und die vierzehnhundert Taler nebst Zubehör!« sagte er.
Ich war außer mir. »Wie kommen Sie dazu?« rief ich, und blätterte in der Brieftasche, und fand, daß nichts fehlte.
»Gestern Nachmittag um vier Uhr fand ich sie auf der Moldaubrücke, und steckte sie ein.«
Richtig, um die gleiche Zeit war ich über die Brücke gegangen, hatte die Brieftasche in Händen gehabt und eingesteckt.
»Vermutlich nebenbei gesteckt!« sagte der Rotrock. »Nun aber wusste ich nicht, ob mein Fund von Einem zu Fuß oder zu Pferd, hinter oder vor mir verloren war. Ich blieb eine Stunde lang auf der Brücke, einen Suchenden abzuwarten. Als Niemand kam, ging ich in mein Wirtshaus. Ich las den Inhalt, die Briefe, um daraus den Verlierer zu erforschen. Eine Adresse zeigte mir Ihren Namen und Ihren Aufenthalt in diesem Gasthofe an. Darum machte ich mich jetzt zu Ihnen auf. Schon gestern Abend war ich hier und fand Sie nicht.«
Lieber Gott, wie kann man sich doch mit seiner Physiognomik täuschen! Ich hätte meinem Mannteuffel um den Hals fallen mögen. Ich sagte ihm die verbindlichsten Dinge. Meine Freude war so übermäßig, als vorher mein Verdruss. Er wollte aber nichts von Allem hören. Ich gelobte mir, mein Lebtage nicht wieder meinen physiognomischen Urteilen zu trauen.
»Grüßen Sie Ihre schöne Fanny von mir. Reisen Sie glücklich. Wir sehen uns einmal wieder!« sagte er, und ging davon.